Die Duftnäherin
ihm und habe ihm den Entwurf vorgelegt. Er war nicht ganz so, wie er ihn sich vorgestellt hat. Doch ich habe ihm erklärt, dass ich sicher sei, die Statue auf diese Weise fertigstellen zu können. Das hat ihn überzeugt.«
»Und nun«, hakte Anna unsicher nach, »willst du ihm eine Madonna bauen?«
Gawin lehnte sich zufrieden auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ganz recht«, meinte er stolz. »Kannst du dir das vorstellen? Ich? Wie ein richtiger Künstler?«
Seine Begeisterung versetzte Anna einen Stich ins Herz.
»Aber«, wandte sie zögernd ein, »so etwas zu fertigen dauert viele Monate, vielleicht sogar Jahre.«
»Ganz recht. Monate, in denen wir gut versorgt sind und uns nicht fragen müssen, wo wir schlafen und ob wir am nächsten Tage genug zu essen haben werden.« Gawin sprudelte geradezu über vor Begeisterung. Er beugte sich vor und ergriff Annas Hände. »Wir haben so ein Glück, Anna.«
Unsicher lächelte sie ihn an. »Aber«, ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, »bist du nicht viel zu jung, um eine solche Arbeit zu verrichten?«
»Das habe ich mich auch kurz gefragt, doch der Prior scheint mir angesehen zu haben, was ich dachte, und wies mich darauf hin, dass es eine besondere, von Gott gegebene Gabe sei, etwas Derartiges bereits in so jungen Jahren vollbringen zu können.«
»Aber wir wollten doch weiterziehen«, gab Anna zu bedenken.
Gawin ließ ihre Hände los und sah sie fragend an.
»Du hast es doch gehört«, erwiderte er. »Wir müssen nicht weiterziehen. Ich werde dem Prior das Abbild einer Heiligen bauen. Wir sind in Sicherheit.«
Wieder ergriff er ihre Hände. »Anna, versteh doch. Unsere Not hat ein Ende.«
Sie antwortete nicht, senkte nur den Kopf.
»Freust du dich denn gar nicht?« Gawin ließ sie los. Er hatte keinen Augenblick gezögert und sofort zugestimmt, als der Prior ihm von seinen Plänen berichtet hatte, eine Madonna fertigen zu lassen, die überall im Land bekannt gemacht werden würde. Der Kirchenmann hatte geschwärmt, dass die Menschen in Scharen kämen, um zu Füßen der Statue zu beten und den Allerhöchsten um Schutz und Wohlstand zu bitten. Zwar wusste Gawin, dass der Prior dabei auch seinen eigenen Wohlstand und den des Klosters im Sinn hatte, doch der Stolz darüber, dass ihm diese Aufgabe übertragen werden sollte, hatte ihn mit solchem Glück erfüllt, dass er an nichts anderes mehr gedacht hatte. Ihm, dem ewigen Taugenichts, der noch vor wenigen Wochen dem Hungertod näher gewesen war als dem schaffensreichen Leben. Nicht nur die Aussicht auf regelmäßiges Essen und einen Schlafplatz, gepaart mit der Sicherheit des Gotteshauses, sondern vor allem die Möglichkeit, endlich sein Leben angehen und ihm einen Sinn geben zu können, und noch mehr der Wunsch, das in ihn gesetzte Vertrauen, ein solches Kunstwerk zu fertigen, nicht zu enttäuschen, hatten Gawin geradezu in einen Rausch versetzt. Deshalb war er auch nicht darauf gefasst, von Anna eine solche Zurückweisung zu erfahren. Zorn stieg in ihm auf, den er zu unterdrücken versuchte.
»Aber Anna, hier haben wir doch alles im Überfluss, viel mehr, als wir uns je erträumten.«
»Mehr, als du dir erträumtest vielleicht«, entgegnete Anna bitter.
»Was willst du damit sagen?«
Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Gawin, ich hatte nie vor, länger hierzubleiben. Für dich mag das alles ganz wunderbar sein. Das regelmäßige Essen, ein warmes Lager, eine Aufgabe. Doch ich …« Sie brach ab.
»Was denn?« Sosehr er sich auch bemühte, sie zu verstehen, schien es ihm, als würden sie plötzlich in zwei unterschiedlichen Sprachen miteinander reden.
»Ich bin hier eingesperrt, tagein, tagaus. Ich freue mich darauf, Bruder Adolfus am Morgen dabei zuzusehen, wie er die Fackeln entzündet. Und während des kurzen Moments am Nachmittag, den ich im Hof verbringe, versuche ich so viel Luft einzuatmen, dass mir fast schwindelig wird. Ich bin stets allein, ich habe niemanden, mit dem ich sprechen kann. Und nur aus einem einzigen Grund habe ich das bislang ertragen. Weil ich die Aussicht habe, dass meine Tage hier gezählt sind.«
»Aber du hast doch mich«, wandte Gawin zögerlich ein.
»Du bist doch nie hier.« Ihre Stimme war immer leiser geworden und zuletzt fast ganz abgebrochen.
»Aber Anna, eine solche Gelegenheit werde ich mein ganzes Leben lang nie wieder bekommen.«
Ihr wurde schwer ums Herz bei dem, was sie ihm nun sagen musste. Die Lüge über ihre
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