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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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lange.«
    Gawin fluchte innerlich. Anna und er hatten sich sehr genau zurechtgelegt, was sie sagen wollten, wenn jemand nach ihrer Herkunft fragte. Sie hatten besprochen, wann ihre Eltern gestorben waren und woran. Wie qualvoll es gewesen war, ihren Tod mit ansehen zu müssen, wie furchtbar das Leid der Geschwister. Doch einen Ort festzulegen, an dem sie geboren worden waren, hatten sie versäumt.
    »Von überall und nirgends, ja?« Der Kirchenmann hob die Augenbrauen. »Ich verstehe, ich verstehe«, murmelte er, trat einige Schritte zurück und sah aus dem Fenster. »Du heißt Gawin, nicht wahr?«, fragte er, ohne den Jungen dabei anzusehen.
    »Ja, das ist mein Name.«
    »Gawin von überall und nirgends, soso.« Der Prior drehte sich wieder um und betrachtete ihn argwöhnisch. »Wie lange willst du mit deiner Schwester hierbleiben?«
    Gawin spürte einen Kloß im Hals. Es mochte Anna im Kloster nicht sonderlich gefallen, doch er selbst hatte sich schnell an den sicheren Schlafplatz und die Arbeit hier gewöhnt. Nur ungern würde er rasch wieder von dannen ziehen.
    »Solange Ihr Arbeit für uns habt, Vater.«
    »Das ist genau, was ich hören wollte.« Der Abt schien wie verwandelt. Weniger launisch und viel gelöster. »Ich habe hier noch einiges für euch zu tun.«
    »Was immer Ihr wollt, Vater. Allerdings …«
    »Allerdings was?« Sofort war der misstrauische Ausdruck wieder in seinen Augen.
    »Meine Schwester. Sie durfte die Kammer noch kein einziges Mal verlassen. Und es ist Frühling. Sie sieht durch das kleine Fenster ihrer Kammer, dass die Sonne an Kraft gewinnt, während sie selbst zwischen kühlen, dunklen Wänden gefangen ist. Wenn Ihr erlaubtet, dass sie täglich für kurze Zeit in den Innenhof oder gar den Klostergarten gehen darf, könntet Ihr Euch uneingeschränkt auf unsere Dienste verlassen.«
    Der Abt zögerte. »Ich will nicht, dass mir ein Weibsbild Unruhe unter die Brüder bringt.«
    »Aber das will sie doch gar nicht«, versuchte Gawin ihn zu besänftigen. »Sie will nur ein wenig an die frische Luft. Ich selbst werde dafür sorgen, dass sie mit keinem der Brüder auch nur ein Wort spricht, das versichere ich Euch.« Er senkte den Kopf.
    Der Prior überlegte lange, schritt dabei im Zimmer auf und ab und sah zum Fenster hinaus.
    »Sie darf täglich während der gesamten Essenszeit in den Garten und sich dort frei bewegen. Bruder Thomas wird ihr Bescheid geben und sie hinführen. Noch bevor die Brüder das Refektorium wieder verlassen, hat sie in ihre Kammer zurückzukehren. Und es ist ihr bei Strafe verboten, mit jemandem zu sprechen. Ausgenommen Bruder Thomas natürlich.«
    »Ich danke Euch, ehrwürdiger Prior.« Gawin war aufgestanden und verbeugte sich tief vor dem Kirchenmann.
    »Nachdem das nun geklärt ist, möchte ich über deine künftige Arbeit mit dir sprechen. Ich habe etwas Großes, etwas Gewaltiges vor. Und du sollst es für mich vollbringen.«

[home]
    8 . Kapitel
    S chlecht gelaunt hockte Helme am Waldrand und wartete. Irgendwann musste ja jemand vorbeikommen, dem er die Kleidung abnehmen konnte. So wie er aussah, brauchte er nicht einmal den Versuch zu unternehmen, ein Stadttor zu passieren, ganz gleich in welchem Ort.
    Das Miststück hatte stärker geblutet als ein abgestochenes Schwein und war für seinen Geschmack auch noch viel zu früh ohnmächtig geworden. Wäre sie ihm nicht einfach unter den Händen weggestorben, hätte er sich noch stundenlang mit ihr vergnügen können. Stattdessen hatte ihr Blut schon seine Hose durchtränkt, kaum dass er begonnen hatte. In der Dunkelheit des Gasthauses hatte er es zu spät bemerkt. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als den nächstbesten Kerl seiner Kleidung zu berauben. Er hoffte nur, dass in den nächsten Stunden nicht nur Kleinwüchsige an ihm vorbeiziehen würden, deren Sachen ihm sein Lebtag lang nicht passen würden. Stunde um Stunde würde er hier womöglich hocken, bis jemand mit seiner Statur des Weges zog. Womöglich würde er sogar mehrere Tage hier festsitzen, ohne voranzukommen. Kostbare Zeit, in der Anna den Abstand zwischen ihnen weiter vergrößern könnte. In den letzten Wochen war es für Helme auch so schon alles andere als gut gelaufen. Seit diese Schwachköpfe ihn in Pater Anselms Keller geworfen hatten, war sein Leben aus den Fugen geraten. Dabei hatte er doch vorgehabt, das geliehene Geld zu besorgen und seine Schulden zu bezahlen. Sich ständig das Gejammer seiner Gläubiger anhören zu müssen, dass sie doch

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