Die Duftnäherin
aufzuziehen, als ob sie tatsächlich die seine wäre, schien sie sich ganz und gar in ihr Schicksal ergeben zu haben. Sie hatte sich sowohl mit dem Leben an seiner Seite als auch mit ihrem Tod abgefunden. Es war ihr gleichgültig. Für sie zählte nur Anna. Und dass Helme Anna niemals töten würde, wusste seine Frau nur zu gut. Denn das Geheimnis um Anna sicherte ihm lebenslange Einkünfte. Sie zu töten hieß, sich selbst seiner Existenzgrundlage zu berauben.
Doch nun hatte er wegen Anna sein sicheres Heim verlassen müssen, um sich auf die Suche nach ihr zu machen. Er hatte keine andere Wahl, als sie so schnell wie möglich wieder einzufangen. In den Tagen, die sie ihm voraus war, hatte sie ein gutes Stück Weges zwischen sie bringen können. Er durfte nicht zulassen, dass die Nachricht von ihrem Verschwinden an oberster Stelle durchdrang. Wenn dies geschah, wäre er seines Lebens nicht mehr sicher. So weit würde er es nicht kommen lassen.
Helme konnte nicht ahnen, dass er seinen sicheren Unterschlupf in Lünen nicht hätte verlassen müssen, um Anna wieder einzufangen. Denn zur gleichen Zeit, während der er am Waldrand wartete und nach einem möglichen Opfer Ausschau hielt, das er mit der Armbrust erledigen und seiner Kleider berauben konnte, klopfte ein Bote an die Tür von Helmes verlassener Kate, um diesem die Nachricht von Annas Aufenthaltsort zu überbringen.
Stephan, ein junger Novize aus dem Kloster Rehburg-Loccum, der neben der Schriftrolle auch noch einen Siegelring bei sich trug, der die Echtheit des Schriftstücks bestätigte, wartete einen halben Tag vergeblich. Doch dann verschaffte sich sein Magen so laut Gehör, dass er zum Wirtshaus hinüberging, in dem Anna noch vor wenigen Wochen gearbeitet hatte, und dort fragte, ob ihm vielleicht jemand etwas über Helmes Verbleib sagen könnte. Zwar wusste jeder im Ort zu berichten, dass dieser wegen seiner Schulden zunächst im Keller des Paters eingesperrt, nach drei Tagen aber wieder in die Freiheit entlassen worden war. Auch ging das Gerücht, dass seine schöne Tochter, die engelsgleiche Anna, diese Zeit zur Flucht vor dem ungeliebten Vater genutzt hatte. Wohin die beiden jedoch gegangen waren, vermochten die Bewohner nicht mit Sicherheit zu sagen. Der einzige Hinweis, der dem Novizen gegeben wurde, war der, dass sich die Tochter angeblich in Richtung Köln aufgemacht hatte und der Vater ihr gefolgt war. Dass der Bote bereits über den Verbleib der jungen Frau Bescheid wusste, sagte er im Gegenzug nicht. Es war das erste Mal, dass ihm eine solche Aufgabe übertragen worden war, und wohl oder übel musste er sich eine gewisse Ratlosigkeit eingestehen, wie nun weiter vorzugehen sei. In keinem Fall jedoch wollte er zum Kloster zurückkehren und vom Scheitern seiner Mission berichten. So beschloss er noch zu warten, denn er hoffte darauf, dass Helme in wenigen Tagen wieder auftauchen würde. Zudem barg sein Auftrag auch den Reiz, dem Klosterleben eine Zeitlang entfliehen zu können. Denn während der tägliche Trott bei den gläubigen Brüdern weder Abwechslung noch Würze bot, gewährte ihm diese geheime Reise Eindrücke, die ihm hinter den schweren Klostermauern bisher verwehrt geblieben waren. Nie hätte er sich der Fleischeslust hingegeben, und bei jedem Versuch der hiesigen Weibsbilder ihn zu locken, wendete er sich angewidert in die entgegengesetzte Richtung. Dass ihn ihr Verhalten jedoch keineswegs kaltließ, verriet ihm die Steife zwischen seinen Beinen. Um sich nicht zu verraten, behielt er deshalb, solange diese währte, stets Platz, scheute einen direkten Blick und schien ganz und gar mit seinem Dünnbier beschäftigt zu sein, ganz gleich wie deutlich die Versuche der Hübschlerinnen auch waren.
Erst nachdem er drei Tage vergeblich gewartet hatte, machte er sich auf den Rückweg zum Kloster. Die Nachricht legte er zusammen mit dem Siegelring offen in Helmes Kate auf den Tisch. Er konnte nur hoffen, dass dieser alsbald nach Hause zurückkehrte, schließlich behagte es ihm gar nicht, seinem Mentor vom Scheitern seiner Aufgabe berichten zu müssen. Er wusste, welches Vertrauen sein geistiger Führer mit der Übersendung der Nachricht in ihn gesetzt hatte. Wenngleich er nicht wusste, weshalb es so wichtig war, diesen Helme über den Aufenthalt seiner Tochter zu unterrichten, wollte er doch seinen Oberen nicht enttäuschen.
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9 . Kapitel
E s war der immer gleiche Vorgang, den zu beobachten Anna ein sicheres Gefühl verlieh. Einer der
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