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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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gewesen, und die Größe und Pracht des heiligen Gebäudes verschlug ihm fast den Atem.
    Da blieb Anna, wie schon so oft an diesem Tag, ganz plötzlich stehen.
    »Da ist sie.« Ihre Stimme klang belegt. »Meine Mutter hat die Geschichte nicht erfunden, es gibt sie wirklich.«
    Sie deutete auf die kleine steinerne Maus, die, auf den Hinterläufen aufgerichtet und mit den Vorderpfötchen an eine Säule gelehnt, neugierig nach oben sah.
    Tränen liefen über Annas Wangen. Gawin legte den Arm um ihre Schultern und hielt sie fest, als sie den Kopf an seine Brust legte. So standen sie einen Moment schweigend.
    »Jetzt können wir gehen«, stellte Anna ruhig fest.
    »Und wohin?«
    Seine Frage ließ ein Gefühl der Beklemmung in Anna aufsteigen. So unbesonnen war sie noch nie gewesen. Sie war tatsächlich nach Bremen gegangen, um mit eigenen Augen zu sehen, ob es die Dom-Maus wirklich gab. Mehr, als dass die Geschichten ihrer Mutter einfach wahr sein mussten und danach alles eine gute Wendung nehmen würde, hatte sie allerdings nicht gedacht. Und darüber die wirklich wichtigen Dinge leichtfertig außer Acht gelassen, was zur Folge hatte, dass sie nun vor dem Nichts stand und auch nicht wusste, was als Nächstes zu tun war. Wie dumm sie nur gewesen war. Schlimmer noch. Sie hatte Gawin in die jetzige Misere mit hineingezogen. Aber nein, das stimmte nicht. Sie war schon immer auf sich selbst gestellt gewesen, hatte stets dafür gesorgt, etwas Essbares auf den Tisch zu bringen, konnte nähen und hatte in Lünen schon Waren auf dem Markt verkauft. Sie würde einen Weg finden, in Bremen Fuß zu fassen. Und Gawin mit ihr.
    »Anna?«, riss Gawin sie aus ihren Gedanken. »Wohin wollen wir jetzt gehen?«
    Sie antwortete nicht, was auch nicht nötig war, denn Gawin schien zu wissen, was in ihr vorging.
    Er bemühte sich, seiner Stimme einen heiteren Klang zu verleihen. »Wenn du jetzt gesehen hast, was du sehen wolltest, könnten wir doch auf den Markt gehen und dort fragen, ob wir beim Be- und Entladen der Karren helfen und uns dadurch ein paar Pfennige verdienen können.«
    Sie nickte stumm, dankbar dafür, einen Ausweg von ihm aufgezeigt bekommen zu haben.

    Margrite erreichte mit ihrem Gespann den weit ausgebauten Marktplatz.
    »Es sind noch mehr Ständler als in den letzten Jahren, nicht wahr?«
    Anderlin nickte. »Bremen wächst.«
    »Halt kurz den Ochsen fest«, forderte sie Binhildis auf. »Ich will mir ansehen, ob schon andere Seifensieder ihre Waren feilbieten.«
    Binhildis war nicht begeistert, bei dem Ochsen stehen bleiben zu müssen, statt endlich in Margrites Haus einzukehren und dort ihre müden Beine ausstrecken zu können, ließ sich aber nichts anmerken.
    Margrite schritt durch die Reihen der Standbesitzer, ließ ihren Blick über die reichhaltigen Waren streifen und nahm sich dabei die Zeit, die ein oder andere Besonderheit etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Sie blickte an sich hinab. Ihre Kleider standen vor Dreck, und so beschloss sie spontan, die anderen Händler nicht weiter zu beachten, sondern nur noch Ausschau nach anderen Seifensiedern zu halten. Die starken Ausdünstungen der Menschen um sie herum machten es ihr dabei unmöglich, auf der Suche nach einem Konkurrenten ihrer Nase zu folgen.
    »Wir haben nichts für euch beide. Schleicht euch fort!«
    Der Händler schubste den jungen Mann so kräftig von sich, dass dieser gegen Margrite stieß.
    »Verzeiht!«, bat er sie eilig.
    Margrites Blick fiel auf die zierliche Frau an seiner Seite. Ihre Kleider waren noch schmutziger als die ihren, und über ihrem Kopf spannte sich ein dunkles Tuch. Auffällig waren die blauen, strahlenden Augen und die helle Haut, die so rein und zart wirkte, als könne sie unmöglich in den unreinen Lumpen stecken, die ihren Körper umgaben. Die Frau hatte etwas ebenso Stolzes wie Zerbrechliches an sich und wirkte auf die Ältere eigenartig vertraut. Auch das engelsgleiche Gesicht kam Margrite irgendwie bekannt vor. Als ob sie jemandem ähnelte … Aber nein, das war es! Sie hatte sowohl die junge Frau als auch ihren Begleiter heute ja schon einmal gesehen. Und zwar am Stadttor.
    »Ihr seid nicht von hier?«, sprach sie den jungen Mann nun unvermittelt an.
    Gawin schüttelte den Kopf. »Wir sind erst heute in der Stadt eingetroffen und suchen Arbeit und Unterkunft.«
    Die Ältere zuckte mit den Schultern. »Da kann ich euch leider nicht helfen.«
    Er nickte, nahm Anna beim Arm und ging mit ihr zu einem Apfelstand, hinter dem sich

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