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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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schimpfen und Beleidigungen ausstoßen, höhnende Rufe wurden laut. Margrite drängte sich weiter nach vorn, um zu sehen, was dort vor sich ging.
    »Ich schwöre, dass es ein Versehen war«, hörte sie die Stimme eines Mannes.
    »Bestehlen wolltet Ihr mich!«, schnauzte ein anderer.
    Sie streckte sich und erkannte einen Händler, der einen jungen Mann am Arm gepackt hielt und auf ihn einschimpfte. Die Menschen um die beiden herum waren stehen geblieben und betrachteten amüsiert das Schauspiel, das sich ihnen bot. Margrite wollte eben weitergehen, als sie das Gesicht des vermeintlichen Diebes erkannte. Es war der junge Mann, den sie vorhin in Begleitung der zierlichen Frau gesehen hatte. Ohne zu wissen, warum, bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge, bis sie direkt vor den Streitenden stand.
    »Was ist hier los?«, fragte sie entrüstet und baute sich vor dem Händler auf, den sie zu ihrer Erleichterung auch noch kannte.
    Obo war keiner der reisenden Standbesitzer, sondern lebte in Bremen. Sie waren sich schon viele Male begegnet.
    »Margrite«, antwortete Obo. »Misch dich hier nicht ein. Der Kerl wollte bei mir stehlen. So was sehe ich diesem Abschaum schon an der Nasenspitze an.«
    Sie blieb völlig ruhig. »Hat er etwas gestohlen?«
    »Nein. Weil ich ihn schon vorher erwischt habe.«
    »Obo, Obo.« Margrite schüttelte langsam den Kopf. »Wie willst du denn wissen, dass dich jemand bestiehlt, wenn er noch nicht einmal dazu gekommen ist, auch nur eine Hand auszustrecken?«
    Einige der Leute um sie herum begannen zu kichern.
    Obo schnaubte wütend. »Kennst du den Kerl etwa?«
    »Ganz recht«, log Margrite. »Wir sind heute zusammen hier angekommen. Er hat unterwegs gutes Geld verdient. So wie ich das sehe, hast du dir soeben einen Kunden vergrault, mein Lieber.«
    »Der sieht aber nicht so aus, als ob er Geld hätte.«
    Margrite sah an sich herab und zog ihren Rock in verschiedene Richtungen. »So wie ich, Obo. Wir haben einen langen Marsch hinter uns. Und glaubst du von mir auch, dass ich kein Geld habe?«
    »Natürlich nicht.« Er ließ Gawins Arm los. »Verzeiht, aber mir wurde schon so viel gestohlen, dass ich bald nichts mehr zu verkaufen hab. Also noch mal – nichts für ungut.«
    Gawin nickte wortlos. Der Händler drehte sich um und ging wieder hinter seinen Stand. Und sofort löste sich auch die Menschenmenge auf, enttäuscht darüber, dass die Sache so glimpflich ausgegangen war.
    »Ich dank Euch«, sagte Gawin leise.
    Margrite nickte. »Nicht hier. Wo ist deine Begleiterin?«
    Er sah sich um, konnte Anna aber nirgendwo entdecken. Um nichts zu riskieren, hatte er sie ein Stück vorausgeschickt, während er versuchen wollte, auch ohne Geld an Lebensmittel zu gelangen. Doch in diesem Moment sah er sie, wie sie sich ihren Weg gegen den Menschenstrom zu ihm zurückbahnte.
    Er deutete mit dem Kopf. »Da vorn.«
    Margrite folgte seinem Blick. »Kommt«, befahl sie, nachdem sie Anna erreicht hatte, und ging voraus, ohne weiter auf die beiden zu achten. Als sie die Stände hinter sich gelassen hatten und das Gedränge nachließ, ging sie zu einem der Brunnen hinüber, blieb dort stehen und wartete, bis Gawin und Anna zu ihr aufgeschlossen hatten.
    »Wenn du schon stehlen musst, dann nicht bei Obo, der hat die Augen überall und dazu auch noch flinke Beine.«
    »Habe ich gemerkt«, gab Gawin ohne Umschweife zu.
    »Es gibt ein Armenhaus in Bremen, dorthin könnt ihr gehen und euch Essen und Unterkunft geben lassen, bis ihr Arbeit gefunden habt.«
    Die junge Frau schüttelte vorsichtig den Kopf.
    »Bist du stumm?«
    »Nein«, brachte Anna zögerlich hervor.
    »Woher kommt ihr?«
    Die beiden warfen sich einen Blick zu, als wägten sie ab, ob sie die Auskunft geben oder verweigern sollten.
    »Wir sind Geschwister«, antwortete der junge Mann schließlich. »Unser Heimatdorf liegt weit von hier, nahe dem Rhein.«
    »Und was treibt euch her?«
    »Die Stadt«, kam die zögerliche Antwort der Frau. »Wir möchten hier leben und arbeiten.«
    »Was ist mit euren Eltern?«
    »Sie sind tot.«
    Margrite nickte. »Verstehe. Also, soll ich euch nun beschreiben, wo ihr das Armenhaus findet?«
    »Habt Ihr nicht vielleicht Arbeit für uns?« Die Stimme des Mädchens klang flehend. »Wir wollen nicht ins Armenhaus und auch nicht betteln oder stehlen. Ich kann nähen, und mein Bruder ist vortrefflich in der Bearbeitung von Holz. Er kann zimmern, schnitzen oder auch andere Arbeiten am und im Haus verrichten. Und ich könnte bei der

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