Die Duftnäherin
seidenen Überzug versehen. Nach seinen Worten herrschte absolute Stille. Er musste sehr angesehen unter den Händlern sein, sonst hätten sie nicht in dieser Weise auf ihn reagiert.
»Ich kann nur mutmaßen«, gab Egidius zu. »Doch ich glaube, es hängt mit unserem herrlichen Dom und den Gebeinen der Heiligen Drei Könige zusammen. Sie halten schützend die Hand über unsere Stadt.«
»Darf ich etwas dazu sagen?«, fragte Helme.
Da ihm niemand antwortete, nahm er dies als Zustimmung.
»Ich bin fremd in der Stadt und danke Euch, dass Ihr einen Euch unbekannten Kaufmann überhaupt in Eure Reihen aufgenommen habt. Aber eben weil ich nicht von hier bin, viel gereist und ein ums andere Mal Orte besucht habe, die der Herr ganz offensichtlich bereits vor Jahren aufgegeben hat, will ich Euch meine Erkenntnis mitteilen.« Er erhob sich von seinem Stuhl, schritt im Raum auf und ab und ließ dabei seinen Blick über die Gesichter der Anwesenden schweifen.
»Ihr seid Städter, wie ich sie noch an keinem anderen Ort je erlebt habe.« Er ballte seine Hand zur Faust. »Ihr seid stolz und doch barmherzig, Ihr seid klug, ohne zu betrügen, Ihr seid ehrlich im Glauben, ohne jene, die sich von diesem abgewandt haben, bekehren zu wollen. Ihr seid für mich das Volk, das Gott sich dachte, als er die Menschheit erschuf. Ihr zetert nicht über das Unglück, Ihr bezwingt es und verwandelt es in Glück. Ihr seid Männer der Macht und dennoch bescheiden. Sogar Eure Diener behandelt Ihr wie ehrbare Menschen.« Er holte tief Luft und atmete geräuschvoll wieder heraus. »Wahrlich, noch nie habe ich solche Bürger wie Euch erlebt. Deshalb wundere ich mich …« Er hielt mitten im Satz inne.
»Was wundert Euch, sprecht!«
Helme machte den Eindruck, als kämpfe er in seinem Innern mit sich, ob er die nächsten Worte nun aussprechen sollte oder nicht.
»Nun gut, wenn Ihr es denn wünscht, so spreche ich es aus: Ich kann nicht verstehen, wie Ihr die Gotteslästerei in Eurer Mitte nicht nur geschehen lassen könnt, sondern auch so lange nichts tut, bis der Herr keine andere Wahl mehr hat, als Euch trotz all Eurer guten Eigenschaften zu nehmen, was Euch lieb und teuer ist.«
»Ihr glaubt also auch, dass wir seinen Zorn auf uns ziehen, weil wir Juden in unserer Gemeinschaft dulden?«
Der Patrizier, dessen Namen Helme nicht kannte, war nun ebenfalls aufgestanden und hielt seinen Blick starr auf ihn gerichtet. Der Kerl würde ihm noch Schwierigkeiten machen, das spürte Helme bis in die Zehenspitzen hinein.
Er machte eine beschwichtigende Handbewegung.
»Glaubt mir bitte, ich wollte über niemand etwas Schlechtes sagen und mich erst recht nicht in Eure Angelegenheiten einmischen.« Er schlug einen versöhnlichen Ton an. »Doch Ihr werdet mir recht darin geben, dass ich Euch zumindest meine Befürchtung mitteilen musste.« Er öffnete die Arme, als ob er die Anwesenden segnen wollte.
»Ich wurde von Euch aufgenommen wie ein alter Freund. Wenn ich mich nun um Euch ängstige, so kann mir das niemand übelnehmen. Bald werde ich wieder nach Hause zurückkehren und muss mich nicht mehr darum bekümmern, was hier geschieht. Doch Euch nicht wenigstens gewarnt zu haben, würde ich mir nie verzeihen.«
»Ich gebe Euch recht«, erwiderte darauf der andere. »Ihr seid aus dem Nichts aufgetaucht, niemand kennt Euch, keiner kann für Euch bürgen. Und doch fehlt es Euch an nichts, Ihr teilt mit den wichtigsten Bürgern Kölns das Mahl, tragt die Euch überlassene Kleidung und lebt in einem reichen Haus.« Er ließ einen spöttischen Blick über die Versammelten gleiten. Helme presste die Lippen wütend aufeinander. Er wollte etwas erwidern, doch ihm fiel auf die Schnelle keine passende Antwort ein. Er hatte sich nicht darauf vorbereitet, sich verteidigen zu müssen. Seine kleine Rede über die Kölner Bürger hingegen war er zuvor mehrmals in Gedanken durchgegangen. Und während er noch nach den geeigneten Worten suchte, fuhr der andere auch schon fort.
»Vielleicht hat dieser Mann recht, und wir sind tatsächlich zu barmherzig und gut, um etwas Schlechtes zu sehen oder erkennen zu können, wenn es sich uns nähert. Die Frage ist nur, ist das Übel dort, wo wir es vermuten?«
Er ging zu seinem Platz zurück, nahm unter den Blicken der Männer seinen Hut, trat zur Tür und drückte die Klinke hinab. »Ich glaube kaum, dass wir in dieser Frage heute noch zu einem eindeutigen Ergebnis gelangen können. Doch nachdenken über das, was hier gesprochen
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