Die Duftnäherin
Situation dann eskalieren würde.
»Wie dem auch sei«, lenkte der Patrizier ein. »Ich bin froh, dass Ihr alle Vorbereitungen trefft, um Esthers und auch Eure eigene Sicherheit zu gewährleisten.«
Der Hausherr ging zu einem Pult gleich neben dem Fenster hinüber und öffnete die oberste Schublade. »Wir kennen uns schon viele Jahre.« Er nahm eine Schriftrolle heraus und schob den Auszug wieder zurück. »Wie es um Eure Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit bestellt ist, weiß ich.« Er wandte sich um und sah seinen Besucher an. »Ich habe eine Bitte an Euch, die Euch zur Bürde werden könnte. Deshalb solltet Ihr mir Eure Antwort auch nicht sofort geben.«
Wyland zog interessiert die Augenbrauen in die Höhe. Noch nie zuvor hatte sich Benjamin mit einer Bitte an ihn gewandt.
»Ich brauche keine Bedenkzeit!«, stellte er klar. »Was auch immer ich für Euch tun kann, seht es als bereits erledigt an.«
»Ihr seid kein Jude. Dennoch betrachte ich Euch als einen wahren Freund.«
»Um was wollt Ihr mich bitten?«
Benjamin öffnete die Schriftrolle und hielt sie Wyland entgegen. »Seht Euch diese Namen an. Es sind allesamt Kölner Bürger, die bei mir teilweise sehr hohe Schulden haben.«
Wyland nahm das Schriftstück entgegen. »Und was ist nun Eure Bitte?«
»Werft einen Blick darauf. Ich werde eine Abschrift davon machen lassen und bitte Euch, diese an einem sicheren Ort für mich zu verwahren.«
»Für den Fall, dass Euch jemand bestiehlt?«
Der Jude wirkte nachdenklich. »Ich weiß nicht, was die nächste Zeit bringen wird. Deshalb werde ich Euch zusammen mit der Abschrift auch eine Vollmacht zusenden, die Euch an meiner statt in die Lage versetzt, die Schulden einzuziehen. Selbstverständlich nur, wenn Ihr mit diesem Vorgehen einverstanden seid.«
»Glaubt Ihr denn nicht nach Köln zurückzukehren, sobald sich alles wieder beruhigt hat?« Ein Anflug von Trauer schwang in der Stimme des Patriziers mit. Benjamin war für ihn weit mehr als nur ein Geschäftspartner. Stets hatte er sich in seiner Gegenwart wohl gefühlt und die ruhige Art des kleinen, unauffälligen Mannes wie auch dessen Scharfsinn schätzen gelernt. Souverän und unaufgeregt hatte Wyland ihn Situationen meistern sehen, in denen so manch anderer besonnener Kopf den Überblick längst verloren hatte. Der unerschütterliche Glaube an seinen Gott und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verliehen ihm eine souveräne Ausstrahlung. Misstrauen gegenüber anderen schien ihm fremd zu sein, obgleich sein Handeln sehr wohl ahnen ließ, dass er jeden noch so kleinen Versuch ihn zu betrügen oder zu übervorteilen durchschaute. Seiner Tochter Esther war Wyland wie ein enger Verwandter zugetan, nicht in der unmittelbaren Pflicht und doch stets mit einem wachsamen, besorgten Auge. Die Aussicht, die beiden wegen der niederen Beweggründe des dummen, grölenden Pöbels nicht mehr in seinem Leben zu haben, machte ihn wütend und traurig zugleich.
»Ich weiß noch nicht, was sein wird«, beantwortete der Hausherr Wylands Frage und schürte damit dessen Befürchtung. »Wir Juden wurden schon oft von dort vertrieben, wo wir uns zu Hause wähnten.« Er seufzte. »Es ist Adonais Wille.«
Sein Gast schwieg darauf zunächst, meinte dann aber: »Ich werde nochmals ins Rathaus gehen. Und was das dort angeht«, er deutete auf die Schriftrolle in Benjamins Hand, »könnt Ihr Euch darauf verlassen, dass ich für Euer Recht eintreten werde.«
»Habt Dank, mein Freund.« Der Jude trat an Wyland heran, griff nach dessen Hand und drückte sie in einer behutsamen Geste. »Ich vertraue Euch voll und ganz. Vielleicht sogar mehr als so manchem Freund und Blutsverwandten.«
»Ihr könnt auf mich zählen«, bekräftigte Wyland, drückte ebenfalls Benjamins Hand und verließ das Haus.
[home]
28 . Kapitel
D ie Wochen, die sie nun schon in Bremen lebten, waren für Hanno wie im Flug vergangen. Fast konnte er sich schon nicht mehr daran erinnern, wann er zuletzt etwas gestohlen hatte. Seit er in der Stadt war und sein Geld mit dem Abladen von Schiffen verdiente, war kein Tag vergangen, an dem er nicht für sein Essen bezahlt hatte. Die Tage, in denen er den Einarmigen vorgetäuscht hatte und stets Gefahr gelaufen war, wegen Diebstahls gefasst zu werden und zur Strafe eine Hand abgeschlagen zu bekommen, schienen für immer vorüber zu sein. Die Wandlung, die sein Leben in den letzten Wochen genommen hatte, war fast zu schön, um wahr zu sein. Am vorgestrigen Abend, als er
Weitere Kostenlose Bücher