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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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für die Regierung. Die deutschen Gesandten beschwerten sich. Im letzten Jahr wurde Carl August Sand hingerichtet, der Mörder des Grafen Kotzebue. Karl Völker, ein Freund von Sand, gab nun Turn- und Exerzierunterricht in der Kantonsschule. Dagegen wäre nichts zu sagen. Ertüchtigung für den Körper, Schulung der Disziplin. Auch gegen die nationale Gesinnung wäre nichts zu sagen. Die Nation gibt dem Volk ein Rückgrat. Aber dieses Umstürzlerische, Revolutionäre? Als würde sich nicht sowieso alles viel zu schnell verändern. Na ja, manches änderte sich viel zu langsam. Dass in Graubünden immer noch mit dreihundert verschiedenen Münzen bezahlt werden konnte und es so viele verschiedene Gewichts- und Längenmaße gab, bot Anlass zu allerlei Betrug. In London gab es bereits Gaslicht in den Straßen, die ganze Stadt war nachts erleuchtet! Die Engländer waren dem Kontinent in allem voraus. Sie hatten auf ihrem Boden keinen Krieg zu erdulden. Das war ihr großer Vorteil. Im Bergbau benutzten sie dampfbetriebene Bahnen, es hieß, bald würden damit sogar Güter und Personen über die britische Insel transportiert werden. Der Baron hatte einen Teil seines Vermögens in englischen Wertpapieren angelegt. Eine aufregende Angelegenheit. Wie schnell wird sich der Wert vermehren? Eigentlich brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Erst vor kurzem war er für weitere drei Jahre in seinem Amt als Verhörrichter bestätigt worden.
    Sein Atem hatte sich gerade etwas beruhigt, als der Baron ein Gemurmel vernahm. Ein kleines Fenster stand offen, die Nacht war warm. Von draußen hörte er unterdrückte Männerstimmen. Was war da los? Der Baron starrte an die geschnitzten Balken der Zimmerdecke, lauschte aufmerksam und hoffte, dass das Haustor richtig abgesperrt war.
    14 Am Fuß des bischöflichen Weinbergs half Karl Rauch seinem Wanderfreund Hostetter, auf einen Nussbaum zu klettern. Der Baum stand dicht an der Stadtmauer. Dahinter verbarg sich der Hof der Seifensiederei. Hostetter war bereits oben, reichte Rauch nun die Hand und half ihm, ebenfalls auf den Baum zu klettern. Nacheinander hangelten sie sich an einem großen Ast auf die andere Seite der Mauer und ließen sich fallen. Sie landeten wie geplant im Hof, standen auf und tranken am Brunnen einen großen Schluck frisches Wasser.
    Endlich zu Hause, sagte Hostetter und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Er wollte nun auf dem kürzesten Weg zur elterlichen Viehhandlung gelangen. Verwundert schauten sie sich um. Wo waren die vielen Fässer, Tröge, Kisten und Karren geblieben, die früher hier standen? Alles hatte sich verändert. In den Jahren ihrer Abwesenheit war der Durchgang in die Süßwinkelgasse durch eine unüberwindbar hohe Mauer und ein schweres Holztor versperrt. Das Tor war verriegelt und zusätzlich mit einem Eisenschloss versehen. Erstaunt suchten sie den Hof ab und fanden keinen anderen Ausgang. Die Türen der Gebäude waren alle abgeschlossen. Seltsam war überdies, dass der ganze Hof leer und sauber gefegt war. Sie schritten ein zweites Mal den Hof ab, tasteten sich an den Mauern entlang und verstanden es nicht. Nichts war da außer blankes Steinpflaster. Das wäre ein hartes Nachtlager. Hier wollten sie nicht bleiben. Sie schauten zum Ast des Nussbaums hoch und versuchten dann, auf die Mauer zu klettern. Hostetter stand auf Rauchs Schultern und suchte mit den Händen vergebens nach einem Halt.
    Dann standen sie im dunklen Hof und wussten nicht mehr weiter.
    Wo sind wir?, fragte Rauch.
    Hostetter drehte sich um die eigene Achse und sagte: Wenn ich das wüsste.
    So hatten sie sich ihre Heimkehr jedenfalls nicht vorgestellt. Sie waren gefangen.
    15 In derselben Nacht, drei Fußstunden entfernt, marschierten drei Männer schweigend durch den Wald, einer hinter dem anderen. Rimmel voraus, dann der jüngere Bonadurer, den Schluss machte der ältere. Sie überquerten eine Holzbrücke, hörten unter sich das Wasser rauschen und spürten den kühlen Sprühnebel im Gesicht. Zu sehen war davon nichts.
    Nach der Brücke stieg der Weg wieder an, und Rimmel begann laut Überlegungen anzustellen, über das Naturrecht des Stärkeren und Schlaueren. Der Mensch, faselte er, würde mit seinen Gesetzen der Natur ins Handwerk pfuschen. Das gefalle ihm nicht. Er hielt sich lieber an die Natur. In diesem Frühjahr zum Beispiel, da sei er im Safiental von einem Bären überrascht worden. Er, Rimmel, sei stehen geblieben und habe zu dem ebenso überraschten Bären mit

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