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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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vom Herrn Baron bestimmt. Beim Frühstück wurden die wichtigsten familiären Angelegenheiten besprochen, Neuigkeiten aus der Verwandtschaft ausgetauscht, Probleme der Haushaltsführung besprochen (die schlechten Nachtlichter von Moritzi bemängelt), Pläne für das Wochenende geschmiedet, ein Besuch beim Grafen Franz Simon von Salis-Zizers in Zizers verabredet.
    Sie waren erst seit ein paar Monaten verheiratet und saßen allein am Frühstückstisch. Josepha wünschte sich Kinder (was nicht vor den Dienstboten besprochen wurde). Der Morgen war ihre einzige ungestörte Zeit. Die Ämter des Barons brachten es mit sich, dass er nie wusste, welche Probleme im Lauf des Tages auf ihn zukommen würden und ob er das Mittag- oder Abendessen zu Hause einnehmen würde.
    Pünktlich um halb sieben hallte der eiserne Türklopfer durch das Haus, und Vinzenz eilte so zügig, wie seine alten Knochen es erlaubten, die steinerne Treppe ins Erdgeschoss hinunter (schnell konnte man das nicht nennen). Draußen wartete Ratsherr Andreas Otto, der Schreiber des Herrn Verhörrichters und Polizeidirektors, der jeden Morgen seinen Vorgesetzten abholte und zum Amtssitz geleitete.
    Baronin Josepha verabschiedete ihren Gemahl in der oberen Etage. Ich freue mich auf heute Abend, sagte sie zum Abschied leise, aber bedeutungsvoll. Die Schwingungen in ihrer Stimme und ihr eindringlicher Blick ließen keinen Zweifel, was sie damit meinte. Der Baron drückte ihre Hand und erwiderte ihren Blick. Dann freue ich mich auch, sogar sehr, sagte er, wandte sich ab und ging die Treppe hinunter. Die Pflicht eines Arbeitstages würde die Freude noch steigern, sagte er sich.
    Ratsherr Otto wartete in der Eingangshalle. Nach einigen Jahren im königlich-bayerischen Staatsdienst war sich Baron von Mont bewusst, dass sich Autorität am besten durch Gefolgschaft ausdrücken ließ. Der Diener machte den König. Da es eine Zeitverschwendung wäre, sich für die hundert Schritte zwischen Wohnhaus und Amtssitz von einer Kutsche abholen zu lassen (ansonsten das passende Gefährt für eine respektheischende Repräsentation), begnügte sich der Baron mit der Begleitung seines Schreibers. Ratsherr Otto trug die lederne Mappe des Herrn Baron; das war der offizielle Grund der Begleitung: Ratsherr Otto hatte morgens ein paar Unterlagen im Haus des Barons abzuholen. Auf dem kurzen Weg hatte er für seinen Vorgesetzten, der in ernste Gedanken versunken war und ein Ziel vor Augen hatte, dem er unbeirrbar zustrebte, nach rechts und links zu grüßen. Auf diese Weise machte Ratsherr Otto dem Baron den Weg frei und unterstrich die Wichtigkeit des Herrn Verhörrichters Johann Heinrich von Mont. Hierarchische Strukturen funktionierten nur mit Hilfe eindeutiger Zeichen, Insignien der Macht. Ratsherr Otto war ein solches Insignium. Der Herr Baron hatte keine Angst davor, auf dem kurzen Weg zum Gefängnis dem Racheakt eines Verurteilten zum Opfer zu fallen. Er war gut ausgebildet im Fechten, Schießen, Reiten, ja sogar im Faustkampf, und er fühlte sich mit seinen dreiunddreißig Jahren durchaus in der Lage, sich jederzeit selbst verteidigen zu können. Abgesehen davon würde es wohl auch keinem einfallen, in ein und derselben Person den kantonalen Verhörrichter, Polizeidirektor und Leiter der Zuchtanstalt tätlich anzugreifen. Das wäre ein Staatsverbrechen und der kürzeste Weg zum Galgen.
    Ratsherr Otto ging voraus, unter den linken Arm geklemmt die lederne Mappe des Herrn Baron, dieser folgte ihm im Abstand von einigen Schritten. Der kleine Abstand war wichtig für die gelungene Repräsentation.
    Draußen waren Knechte dabei, die bischöflichen Pferdeställe auszumisten. Mit schwankenden Schritten schoben sie schwer mit Mist beladene Schubkarren aus den Pfaffenställen. Ein stechender Geruch nach Ammoniak wehte herüber. Ratsherr Otto und der Baron gingen nach links die gepflasterte Süßwinkelgasse hinunter. An der ersten Häuserecke blickten sie kurz in die enge Rabengasse hinein, bogen in die entgegengesetzte Richtung ab, gingen vorbei an der Schenke zum Meerhafen (rechts) und an der Rückseite des Zunfthauses der Schuhmacher (links) und standen schon vor dem massiven Holztor des Gefängnisses.
    Ratsherr Otto klopfte mit dem Knöchel an die Luke, die sogleich aufging, ein prüfendes Augenpaar zeigte und wieder zuging. Man hörte einen Schlüsselbund klirren, Eisenriegel quietschen, einen schweren Balken knarren, bis der Torflügel einen Spaltbreit aufging, den Baron und den Aktuar

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