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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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nach, wie sie mit den Sensen und Gabeln den Weg hinabgingen, wo sie unterhalb des Dorfes Versam eine steile und schattige Wiese gepachtet hatten.
    Wohin ihr Schwager und der Tiroler verschwunden waren, wusste sie nicht. Sie war froh, dass sie weg waren. Mit ihrem Mann allein würde sie schon wieder den Frieden finden, dachte sie.
    25 Ihre Heimkehr hatten sich Hostetter und Rauch so ähnlich vorgestellt wie auf dem kolorierten Kupferstich, der im Fenster der Druckerei Otto hing: Der saubere Marktplatz eines kleinen Städtchens, eine Gruppe junger Mägde mit Körben am Arm und ein uniformierter Stadtknecht winkten fröhlich einer Mylordkutsche zu, die von einem Schimmelgespann gezogen wurde, unter dem Klappdach saß ein vornehmes, gutgekleidetes Paar und winkte zurück. Freundlich, sauber, aufgeräumt. Zugegeben, die Freunde waren zu Fuß und nicht zu Pferd heimgekehrt, aber immerhin und trotzdem, niederländisch-königliches Regiment, Sold in der Tasche, das war doch etwas. Für die nächtliche Ankunft über die Stadtmauer konnte keiner etwas. Aber was erlebten sie nun in ihrer Heimatstadt? Kein freudiges Wiedererkennen, Neugier und Respekt, sondern ein hektisches Schubsen, Gebrüll und Geschimpfe, ein Kommen und Gehen, verstopfte Gassen, fluchende Kutscher, ein übler Gestank in den Kanälen und Bächen, welche die Stadt von Süden nach Norden durchflossen, empört gackerten die Hühner zwischen den Pferdebeinen, ein Junge verfolgte ein entlaufenes Schwein, Köter kläfften einen an jeder Straßenecke an, Kolonnen von Saumpferden drängelten sich vor den Stadttoren, wollten hinaus nach Maienfeld oder nach Thusis. Am Martinsbrunnen ließen zwei Säumer ihre Maultiere trinken. Hostetter lauschte ihrem Gespräch, das sich um die neue Straße über den Sankt Bernhardin drehte.
    Die Straße sei fertig, erzählte ein Säumer dem anderen, er selbst habe in Splügen einen Vierspänner gesehen, der mit Korn aus Bellinzona eingetroffen sei.
    Die Straße sei vielleicht befahrbar, entgegnete der andere, aber noch nicht freigegeben für den Verkehr.
    Was soll denn das heißen – freigegeben?, fragte der erste zurück.
    Na, fast fertig, aber eben nicht ganz fertig, sagte der andere.
    Siehst du, sagte Hostetter zu Rauch, als sie den Martinsplatz verließen, Vierspänner über den Sankt Bernhardin! Hier gibt’s was zu tun für uns.
    Rauch war damit beschäftigt, im Gehen seine letzten Vorräte an Brot zu verschlingen.
    Die Viehhandlung Hostetter lag am Metzgerplatz gegenüber der Oberen Mühle und der Metzgerei, gleich neben dem Südtor der Stadt, dem Metzgertor. Mitten auf dem Platz stand der große Brunnen, in dem Hostetter als Kind an heißen Augusttagen gebadet hatte. Die Viehhandlung war eine mächtige Scheune, deren Tor sich nach beiden Seiten aufschieben ließ und den Blick auf einen breiten Stallgang freigab. Tagsüber war das Tor immer offen. In weißen Lettern prangte der Firmenname an der Giebelwand. Links und rechts des Ganges reihten sich die Stände für die Pferde, Rinder, Kühe, Ochsen, Maultiere und Maulesel, ganz hinten befanden sich die Verschläge für die Kälber, Schweine, Schafe und Ziegen. Schon bevor der jüngste Sohn sich vom Werber der niederländischen Armee überreden ließ und zu seiner langen Reise rheinabwärts aufbrach, hatte die Viehhandlung Hostetter fast nur noch mit Pferden gehandelt, höchst selten und zufällig stand anderes Vieh im Stall. Als sie eintraten, wunderte sich Hostetter über die vielen Fahrzeuge, die den größten Teil des Stallgangs einnahmen. Neue Kutschen, Karossen, Landauer, Chaisen, Jagdwagen, Leiterwagen. Das sah aus wie in einer Wagnerei. Nur in den ersten beiden Abteilen neben dem Tor standen zwei schwarze Wallache, die sogleich Hostetters Aufmerksamkeit auf sich zogen. Sie waren größer als die einheimischen Pferde, trotzdem stark gebaut, mit breiter Brust und schräger Kruppe, der Blick wach und neugierig.
    Na?, sagte Hostetter, zog dabei das Wort tief und beruhigend in die Länge, trat neben den einen Rappen, legte ihm die Hand auf den Hals, fuhr über das glatte Fell, strich über die Schultern, den Widerrist, den Rücken und die Kruppe nach hinten und tätschelte dann die Hinterbeine, während das Pferd sich das mit nach vorn gerichteten Ohren gefallen ließ.
    Herrliches Tier, sagte Hostetter zu Rauch, der seinen letzten Bissen hinunterschluckte, als sich hinter ihm eine tadelnde Stimme erhob: Was habt ihr hier zu suchen?
    Toni?, rief Hostetter, und der ältere Mann

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