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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
    Der gnädige Herr wünschen?, sagte die jüngere Magd spöttisch und lachte gackernd, der Müller lachte mit.
    Wenn er das Geschäft nicht mehr nötig hat, sagte Franziska am Tisch, scheint es ihm ja gut zu gehen.
    Was geht dich das an?, fragte die jüngere Magd, die sich auf der Ofenbank an den Müller schmiegte.
    Es geht mich wohl etwas an, sagte Franziska streng, wenn er mir Geld schuldet.
    Hab ich dir deinen Lohn etwa nicht gegeben?, fragte der Müller.
    Ich rede nicht vom Lohn, antwortete Franziska.
    Von was redest du dann?, sagte die jüngere Magd.
    Der Michel und ich wissen genau, wovon ich rede, antwortete Franziska.
    Die Augenbrauen von Annemarie zogen sich zornig zusammen, sie beugte sich vor und sagte scharf: Du weißt gar nichts!
    Was für ein fesches Kind, dachte Rimmel, ein Euter, dass es einem den Sack zusammenzieht.
    Ich bin es, die jetzt für den Michel arbeitet, und das ist nicht alles!, sagte Annemarie laut. Der Michel und ich, wir wissen nämlich, wovon ich rede. Und du, Franziska, du solltest jetzt gehen!
    Na, na, versuchte der Müller die Frauen zu besänftigen. Es gibt doch keinen Grund, sich zu streiten. Wir sollten jetzt einfach schlafen gehen, und morgen sieht alles anders aus.
    Morgen, wiederholte Rimmel mit schwerer Zunge, morgen ist alles anders.
    Heißt das jetzt, wollte Franziska vom Müller wissen, dass du meine Ansprüche nicht anerkennen willst?
    Nun wurde Annemarie richtig böse: Was für Ansprüche? Was redet sie da für Zeugs?
    Schnaps!, rief Rimmel, der seinen Plan nicht aufgeben wollte.
    19 Rimmel hasste den rechten Schuh, der an der Ferse eingerissen war und die Haut aufrieb. Er hasste die Schmerzen beim Gehen. Er hasste den knurrenden Bauch, wenn er drei Tage lang nichts mehr zu essen bekommen hatte. Er hasste es, nach Arbeit fragen zu müssen, wenn die Leute nichts herzugeben hatten. Er hasste es zu betteln. Er hasste es, dass niemand eine kaputte Uhr flicken lassen wollte (weil niemand eine Uhr besaß). Er hasste es, dass schon viele Jahre vergangen waren, seit er das letzte Mal versucht hatte, eine Uhr zu reparieren (das Uhrwerk war ihm unter den Händen auseinandergebrochen und die Zahnräder und Stahlfedern waren ihm ins Gesicht gesprungen). Er hasste den Winter, der viel zu kalt war für einen Herumtreiber wie ihn. Er hasste den Sommer, der viel zu kurz war für einen Herumtreiber wie ihn. Er hasste seine Frau, die ihn nicht mehr sehen wollte, seit er sie verlassen hatte. Er hasste es, wenn ein Glas leer vor ihm stand. Er hasste die wohlhabenden Bauern, die keine Arbeit für ihn hatten. Er hasste die armen Bauern, die keinen Lohn für ihn hatten. Er hasste es, dass er so klein war. Er hasste es, dass er so mager war. Er hasste den Müller, dem es gutging, der Speck ansetzte und der zwei Weiber im Haus hatte (auch wenn die eine nur zu Besuch da war). Er hasste die Unbekümmertheit und Selbstzufriedenheit des Müllers. Er hasste dessen Angeberei, wenn er die jüngere Frau umarmte, die seine Magd, aber auch mehr für ihn war, das konnte jeder sehen, wenn er sie mit den Händen auf ihrem Hinterteil fest an sich drückte. Er hasste die frühere Magd Franziska, die seinen Plan durcheinanderbrachte. Er hasste sie, weil sie sofort von ihm weggerückt war, als er seinen Arm um sie legen wollte, und er hasste sie, weil sie auch im Sitzen viel größer war als er. Er hasste das leere Glas vor ihm. Er hasste die junge Magd, die sagte, er habe zuviel Schnaps getrunken. Und er hasste ganz besonders, dass er die ganze Zeit über nicht einen einzigen kurzen Augenblick die Gelegenheit bekommen hatte, ihnen etwas aus seinem Fläschchen in die Becher zu träufeln. Er hasste diesen undurchführbaren Plan. Er hasste die beiden Idioten, die draußen unter den Bäumen warteten wie Maulesel.
    Rimmel glaubte, draußen auf der Treppe Schritte zu hören. Kamen sie etwa herein, ohne sein Zeichen abzuwarten?
    20 Johann Heinrich von Mont lag immer noch im Dunkeln. Der Baron wusste nicht, wie spät es war, und konnte sich nicht aufraffen, das Nachtlicht anzuzünden. Er wollte beim Rat der Stadt Chur seinen ganzen Einfluss geltend machen, dass auch in Chur die Gasbeleuchtung eingeführt wurde. Besorgt starrte er an die Balkendecke und kam sich vor wie in einer Gruft. Lebendig begraben.
    Wieviele Scheintote hatten schon sechs Fuß unter der Erde im Dunkeln ihres Sarges gelegen und vor Verzweiflung geschrien?
    Erst vor kurzem hatte der Baron den Großen Rat in

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