Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
Vom Netzwerk:
einließ und sich sofort wieder schloss. Während Ratsherr Otto die Treppe in die Amtsstube hinaufstieg, ging der Baron in die Wachstube, um sich den Rapport des diensthabenden Aufsehers anzuhören.
    Der Stockersepp in Zelle eins hatte nachts gerufen, aber der Wärter hatte es ignoriert. Danach war Ruhe. Stockersepp oder Joseph Brunett, wie er wirklich hieß, war der erste Häftling, der den Rest seines Lebens in einer Zelle angekettet im Sennhof verbringen musste. Der damals einundzwanzigjährige Brunett war des Einschleichdiebstahls in neunzehn Fällen überführt worden. Der Kläger hatte vor dem Kantons-Kriminalgericht die Todesstrafe durch Enthaupten beantragt. Ein junger Verteidiger namens Christ musste sich vehement für den Delinquenten einsetzen und mit seiner ganzen Beredsamkeit darauf hinweisen, dass Brunett niemals irgendjemandem einen körperlichen Schaden zugefügt hatte. So erreichte er statt der Todesstrafe eine lebenslängliche Einkerkerung mit vorherigem Pranger und Rutenschlägen beim Gang vom Rathaus bis zum Oberen Tor und zurück. Sollte Brunett jedoch jemals zu fliehen versuchen, so der Wortlaut des Urteils, würde er ohne weitere Prozedur durch das Schwert vom Leben zum Tod gebracht werden. Nun hatte der Stockersepp vor einem Jahr trotzdem aus der Zuchtanstalt fliehen wollen. Es war ihm gelungen, den Ketten zu entschlüpfen und aus der Zelle zu entweichen. Seine weitere Flucht wurde vereitelt. Das Gericht war gnädig gestimmt und bestrafte seinen Fluchtversuch mit neunundzwanzig Rutenhieben. Seither war der Stockersepp ein folgsamer Häftling.
    Der Baron runzelte verwundert die Stirn, als Wachtmeister Caviezel außerdem von zwei Einbrechern berichtete, die nachts über die Mauer geklettert waren und den Gefängnishof anschließend nicht mehr verlassen konnten.
    Zwei Ratten in der Falle, schmückte Wachtmeister Caviezel seinen Bericht aus und lachte.
    Will er einen Witz erzählen, statt zu berichten?
    Nein, nein, kein Witz, rechtfertigte sich Wachtmeister Caviezel. Aber ist das nicht komisch, Herr Direktor, wenn jemand ins Gefängnis einbricht?
    Der Baron hatte sich noch immer nicht auf eine einzige gültige Anrede festlegen können. Im Sennhof und vor den Landjägern war er der Herr Direktor oder Herr Polizeidirektor. Die Korrespondenz von Gerichtsangelegenheiten unterschrieb er mit Verhörrichter von Mont. Von Bediensteten und Privatleuten erwartete er, dass sie ihn mit Herr Baron anredeten. In Österreich und Bayern hatte die Anrede Baron ganz natürlich geklungen, selbstverständlich, gottgegeben. In Graubünden wies die Anrede einen eigenartigen Beiklang auf, als würden die Bündner scherzen, wenn sie jemanden mit einem Adelstitel ansprachen. Dabei war ihnen keine böswillige Absicht nachzuweisen. Nur ein Hauch war es, eine leichte Fremdheit, als hätten sie etwas im Mund, was sie nicht kannten, ein Wort, das ihnen nicht so recht über die Lippen wollte. Manchmal gab es den einen oder anderen Provokateur, der ihn auf der Gasse überaus freundlich, aber titellos als Herr von Mont begrüßte. Der Name Vonmont oder gar Vomont, mit Betonung auf der ersten Silbe, klang dann ausgesprochen profan. Er hütete sich aber, einen der Provokateure deswegen zur Rede zu stellen. Ihm blieben genügend Titel, die er durch seine Leistungen erworben hatte.
    Was haben die Einbrecher hier gesucht?, fragte der Baron. Und woher kommen sie? Wie alt sind sie?
    Noch nicht dreißig Jahre alt, sagte Wachtmeister Caviezel, zwei Männer von hier, behaupten sie. Sie reden zwar wie Churer, es sind aber verdächtige Leute.
    Verdächtig?, fragte der Baron.
    Na ja, die haben einen Haufen Geld bei sich versteckt, unter den Kleidern, mehr Geld, als ein ehrlicher Mensch mit sich herumträgt. Wachtmeister Caviezel wies auf zwei Lederbeutel, die zwischen anderen Habseligkeiten auf dem Tisch der Wachstube lagen. Sackmesser, Wäscheteile, Flaschen, Brotsäcke, gefaltete Papiere.
    Der Baron nahm einen der Lederbeutel, schaute hinein und wog ihn in der Hand. Wieviel ist es?
    In diesem da zweihundertfünfundsechzig Gulden, im anderen sogar dreihundertundvierzig.
    Eine beachtliche Summe, sagte der Baron.
    Diebesbeute, vermutete der Wachtmeister, aber die beiden streiten es ab.
    Wo sind die Männer jetzt?
    In Zelle zwei, Herr Direktor.
    Dann wollen wir mal sehen, sagte der Baron. Seine Neugier war geweckt.
    Wachtmeister Caviezel eilte den schmalen Gang voraus, blieb vor einer Zellentür stehen und öffnete die kleine Luke. Aufstehen!

Weitere Kostenlose Bücher