Die Dunkelheit in den Bergen
Weiße zu sehen, als er fragte: Weihermühle?
Rauch stand vor ihm, groß, schwer atmend, und starrte ihn eine Weile schweigend an. Dann schlug er ihm ohne Vorwarnung mit dem Handrücken ins Gesicht, so heftig, dass Rimmel gegen die Stallwand geschmettert wurde.
Ich weiß es nicht, klagte Rimmel, ich kann mich nicht mehr erinnern.
Du weißt nicht mehr, wer du bist? Rauch schlug nochmals zu und traf den Arm, den der andere schützend hochhielt.
Der Rimmel bin ich!, schrie er und drehte sich weg. Ich weiß nicht mehr, was in der Nacht passiert ist.
Rauch packte seinen Arm, zog ihn herum und schlug ihm wieder ins Gesicht. Diesmal traf er die Nase, aus der nun Blut rann.
Den Müller und die Mägde erschlagen hast du!, schrie Rauch und stieß ihn mit dem Gesicht gegen die Stallwand: Sag, dass du es getan hast! Gib es zu!
Ich war betrunken –
Sag es!, sagte Rauch und schlug seinen Kopf an die Wand.
Ja –
Rauch ergriff ihn am Oberarm und zerrte ihn auf den Weg, der neben dem Stall vorbeiführte. Dort drückte er den Tiroler auf den Boden und zwang ihn zu warten. Von der Kirche herauf klang das Läuten einer Glocke.
Rimmel hatte nicht nachgefragt, wer Rauch war. Es schien ihn gar nicht zu interessieren. Er starrte auf den Boden und schwieg. Rauch ließ seinen Arm los und sagte auch nichts mehr.
Nach einer Weile fragte Rimmel: Worauf warten wir?
Auf deinen Tod, sagte Rauch.
Als Hostetter mit den beiden Pferden auf dem Weg herantrabte, packte Rauch den Tiroler am Arm und stellte ihn auf die Beine. Ist er der Gesuchte?, fragte Hostetter.
Da Rimmel nichts sagte, trat Rauch ihm in die Seite.
Rimmel stöhnte: Ja!
Und? Hat er es getan?
Noch ein Tritt war nötig, um eine Antwort zu bekommen: Ja.
Sie schnürten ihm die Hände zusammen und banden den Strick an Rauchs Sattel fest. Rimmel hatte nun die Wahl: Entweder ging er schnell genug, oder er wurde hinterhergeschleift.
So ritten sie das letzte Stück ins Dorf Splügen hinein. Leute schauten aus den Häusern, kamen heraus, kamen hinter den Häusern und Ställen hervor, verwundert, neugierig, und versammelten sich auf dem Dorfplatz. Einige hatten zwar davon gehört, was vor zwei Tagen im fernen Bonaduz geschehen war. Niemand brachte aber die beiden Männer und ihren Gefangenen mit jenem Ereignis in Zusammenhang.
Hostetter fragte nach dem Ammann, und sofort wurde nach ihm geschickt. Immer mehr Leute fanden sich auf dem Dorfplatz ein und bestaunten die Fremden: den fünfzigjährigen kleinen Mann in kurzen Hosen und dem zerschlissenen grauen Rock, der an einen Sattel angebunden war, und die beiden bewaffneten Reiter, die mit ihren erschöpften Pferden einen recht abenteuerlichen Anblick boten.
Nach kurzer Zeit kam der Landammann der Gerichtsgemeinde Rheinwald, Peter Weisstanner, in Begleitung des Splügener Landjägers Anton Foppa auf den Platz. Sie hörten mit skeptischer Miene zu, als Hostetter berichtete, um wen es sich bei dem Gefesselten handelte.
Ist das wahr?, fragte der Landammann den Tiroler, bist du der Genannte?
Ja, der bin ich.
Und hast du das getan?
Ich weiß nicht – ja. Ich war betrunken und kann mich nicht mehr richtig erinnern, sagte Rimmel und starrte Rauch an.
Zwei Männer in abgetragenen zivilen Kleidern behaupteten Landjäger zu sein? Und so ein mickriges Männchen soll ein dreifacher Mörder sein? Der Landammann schien davon nicht überzeugt. Hostetter zog das Schreiben des Verhörrichters aus seiner Jacke und reichte es dem Landammann. Darin wurde bestätigt, dass Hostetter Linus aus Chur am zwölften Juli, also gestern, als kantonaler Landjäger vereidigt worden war. Von den Obrigkeiten war ihm Unterstützung und Hilfe bei der Ausübung seines Amtes zu gewähren, stand da außerdem. Getätigte Ausgaben konnten beim wohllöblichen Kantons-Kriminalgericht in Rechnung gestellt werden. Rauch nahm das Blatt hervor, welches dasselbe für ihn besagte. Die beiden Schreiben schienen zwar in Ordnung zu sein, dem Landammann aber trotzdem nicht zu gefallen. Peter Weisstanner schaute vom Papier, das er in den Händen hielt, auf die beiden Männer. Sie sahen nicht vertrauenerweckend aus. Die Kragen und Ärmelenden ihrer Kleider waren ausgefranst. Dem Großen waren die Hosen am Knie aufgerissen. Und der andere mit den blonden Locken hätte sich schon vor einiger Zeit die Haare und den Backenbart scheren lassen sollen.
Es musste schnell gehen, erklärte Hostetter, die Mordtat in Bonaduz, da brauchte es außergewöhnliche Maßnahmen.
Wer außer euch
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