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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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Josef den Weg beschreiben, der weiter ins Safiental hineinführte. Zu Fuß waren es zwei Stunden bis nach Thalkirch, dem letzten Dorf. Im lockeren Trab eine halbe Stunde, zwanzig Minuten im Galopp, sagte der Bärtige mit einem belustigten Blick auf Rauchs verschwitztes stämmiges Pferd. Freiberger waren keine englischen Rennpferde, aber sie waren zäh und zuverlässig.
    Und hinter Thalkirch?, fragte Hostetter.
    Da kommt noch eine Saumstation, dann ist die Welt zu Ende.
    45 Es herrschte schönstes Wetter an diesem Freitag. Das Tal leuchtete grün, die Wiesen glänzten saftig in der Sonne. Die Pferde trabten den Weg entlang. Hostetter hatte sich bereits an die englische Reitweise gewöhnt, Rauch ließ sich immer noch durchschütteln. Beiden brannten aber gleichermaßen die Innenseiten der Oberschenkel, außerdem scheuerten die Steigbügelriemen schmerzhaft an den Waden. Reiten war auf Dauer nicht unbedingt bequem. Sie schauten jedoch aufmerksam nach vorn.
    Wenn wir Pech haben, sagte Hostetter, dann versteckt er sich weiter oben zwischen den Erlenstauden, wo wir ihn nicht sehen können.
    Rauch suchte mit seinen Blicken die Hänge des Tals ab. Überall sah er Bauern beim Mähen. Ganz unbemerkt konnte also niemand durch das Tal fliehen. Damit sie keine Zeit verloren, fragten sie nur die Bauern, die in Rufweite des Fahrwegs waren.
    Bis Thalkirch hatten sie kein Glück. Auch im Dorf hatte niemand einen einzelnen Mann gesehen. Dann machten sie an der Saumstation hinter dem Dorf halt.
    Ja, einer ist heute vorbeimarschiert, berichtete der Wirt, der ist mir aufgefallen. Weil er krampfhaft in die andere Richtung geschaut hat. Wenn einer hier vorbeigeht, ohne an der Station Halt zu machen, ist das komisch. Wenn er sich auch noch abwendet, damit man ihn nicht erkennt, dann ist das wirklich kurios.
    Wann das gewesen sei, fragte Hostetter den Wirt.
    Noch nicht so lang. Vielleicht vor einer Stunde? Höchstens vor einer Stunde.
    Und wohin geht es da hinten?
    Immer dem Saumweg nach, erklärte der Wirt, zum Safierberg, über den Pass und hinunter nach Splügen.
    Sie waren ihm dichter auf den Fersen als gedacht und ritten eilig in Richtung Safierbergpass weiter. Als die Steigung zunahm, ging es nur im Schritt weiter. Sie hofften, den Flüchtigen bald vor sich zu sehen, noch bevor es eindunkelte. Und bevor er über den Splügenpass nach Italien fliehen konnte. Von Thalkirch nach Splügen würden sie drei Stunden brauchen.
    Sie begegneten einem Säumer mit einem Maultier. Er war von Splügen aus losgegangen, mit zwei Fässern Rotwein für die Wirte im Safiental. Vor einer Weile sei ihm ein Mann begegnet, berichtete er, der sich von ihm abgewendet habe, damit er dessen Gesicht nicht sehen konnte, ein komischer Kerl.
    Am Nachmittag standen Hostetter und Rauch auf dem Safierbergpass in fast zweieinhalbtausend Metern Höhe. Vor ihnen fiel das Gelände ins Hinterrheintal ab. Ein Pfad führte schräg abwärts durch Alpwiesen und Geröll. Die Pferde waren schweißnass, ließen ihre Köpfe hängen, die Beine zitterten vor Erschöpfung. Hostetter und Rauch stiegen ab.
    Siehst du das?, fragte Hostetter und wies mit dem Arm nach Süden.
    Rauch blickte nach unten.
    Was meinst du?, fragte er.
    Knapp über dem Wald! Da bewegt sich doch ein kleiner Punkt.
    Ein Tier?, sagte Rauch. Ein Rind oder eine Gemse.
    Unten im Tal und mitten auf dem Weg?, antwortete Hostetter. Das glaube ich nicht. Bei schönem Wetter zieht es die Tiere in die Höhe.
    Er führte die Einsiedler Stute am Zügel und ging neben ihr, marschierte und rutschte schräg den Talabhang hinunter, gefährlich schnell, er rannte fast. Rauch führte den Freiberger hinterher. Obwohl sie nicht wussten, was da unten im Tal vor ihnen war, Tier oder Mensch oder sogar der Franz Rimmel, riskierten sie Kopf und Kragen – und die Beine ihrer Pferde. Die waren abwärts schwer zu kontrollieren. Fielen sie in Galopp, würden sie kaum aufzuhalten sein. Aber etwas weiter unten, wo es flacher wurde und der Weg sich verbreiterte, würden sie im Vorteil sein. Wenn sie es schafften, heil dort unten anzukommen, könnten sie aufsitzen und den Mann einholen. Das war die Gelegenheit, die sich ihnen bot, und die wollten sie beim Schopf packen.
    46 Wo ist dein Bruder hingegangen?
    Die Küche war niedrig im Haus der Bonadurers in Versam. Anna hatte noch eine knappe Handbreit Luft über ihrem Kopf. Hansmartin musste den Kopf einziehen. Seit zwei Tagen stand er die meiste Zeit am Küchenfenster und starrte hinaus. Der

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