Die Dunkelheit in den Bergen
Pause an. Die Herren der Untersuchungskommission begaben sich in die andere Stube hinüber, wo Kaffee und Tee und Gebäck für sie bereitgestellt war.
50 Der Landjäger hatte ihnen den Weg beschrieben. Hostetter und Rauch ritten mit Rimmel im Schlepptau aus dem Dorf und folgten der neuen Straße. Von Splügen bis zum Anfang der Rofflaschlucht brauchten sie zwei Stunden. Verschiedene Säumer kamen ihnen entgegen, hin und wieder ein beladener Wagen. Mit ihrem Gefangenen, der am Strick hinterherging, erregten sie einiges Aufsehen. Sie gaben aber keine Auskunft darüber, wer er war. Die Straße führte in engen Kehren durch die Schlucht, in der Tiefe rauschte der Rhein. Es war schattig und kühl hier unten, obwohl es ein sonniger Julitag zu werden versprach. Als Rimmel Schwäche zeigte, mehrmals stolperte und hinfiel, ließ Rauch ihn aufsitzen und gab ihm ein Stück Brot zu essen. Er selbst ging zu Fuß und führte den Freiberger am Zügel. Auch Hostetter stieg von seiner Einsiedler Stute und zupfte an seinem Hosenboden. Er war froh, zur Abwechslung wieder etwas marschieren zu können. Allzu lang im Sattel zu sitzen, war doch etwas unbequem. Sie brauchten eine Stunde für die Durchquerung der Rofflaschlucht. Einige Male mussten sie umkehren und eine etwas breitere Stelle suchen, um entgegenkommende Säumer oder Wagen an sich vorbeizulassen. Von der letzten Brücke am Ausgang der Schlucht bis zur Ortschaft Andeer brauchten sie nochmals eine Stunde. Dort beschlossen sie, Rast zu machen.
51 Im Rathaus zu Bonaduz war die Pause gerade zu Ende gegangen, und die Untersuchungskommission war in den Sitzungsraum zurückgekehrt. Hauptmann Vieli schraubte den Deckel vom Tintenfass und nahm einen neuen Bogen Papier. Als nächster Zeuge trat ein junger Mann ein und berichtete, was sich am frühen Donnerstagmorgen in der Weihermühle zugetragen hatte.
Ich heiße Christian Coray, begann er, bin zweiundzwanzig Jahre alt, gebürtiger Bürgersohn von Schleuis, ledig, seit einem Jahr und einem Viertel beim Bundesweibel Candrian im Dienst, katholischer Religion, ohne Vermögen, noch nie abgestraft. Vorgestern früh, also am Donnerstag, ungefähr um drei Uhr morgens, kamen ich und der Bartholomäus Liver und der Luzi Anton Maron von Bonaduz her, um auf einer Wiese neben der Weihermühle zu mähen. Auf dem Weg sahen wir nichts und begegneten niemandem. Als wir hinkamen, war es bereits ziemlich Tag. Nach einer Weile sahen wir einen Mann um die Mühle herumschleichen –
Einen Mann?, unterbrach der Verhörrichter. Was für ein Mann?
Das konnten wir aus der Entfernung nicht sehen. Etwas später kam ein Weibsbild aus Rhäzüns dazu und auch der Müllerknecht. Wir sahen sie die Stiege zu der Eingangstür hinaufgehen. Bald darauf kam der Knecht zu uns hergerannt, hatte die Arme erhoben und rief: Die Magd ermordet! Wir drei liefen gleich zu der Mühle hin. Wir fanden an der Stiege viel Blut. Der Maron nahm zwei Scheiter weg, und da erschien ihr Gesicht, wir glaubten, es sei die jüngere Magd des Müllers, nachher hieß es aber, dass es die ältere Magd war, wir vermuteten gleich, dass vielleicht der Müller der Täter sei. Wir wussten, dass tags zuvor die frühere Magd, von welcher der Knecht sagte, sie habe Kinder vom Müller, vorbeigekommen war. Wir wollten gleich ins Haus gehen und sehen, ob jemand drinnen war. Die Haustür war aber zu, und auf unser Klopfen und Rufen erhielten wir keine Antwort. Wir gingen hinter die Mühle und drückten ein loses Brett ein und gingen hinein. Vom Mühlenraum in den Vorraum und in die Stube, wo wir das Blut am Boden sahen und dann in die Kammer, wo auch Blut am Boden war und vom Bett herabrann. Arme und Füße und ein Stück Haut und der hintere Teil eines Kopfes, der Rest des Körpers war mit einem Bettlaken bedeckt. Wir glaubten, dass es der Leichnam der anderen Magd sei. Der Maron zog das Deckbett weg, da sahen wir den Leichnam des Müllers im Bett liegen, und unter demselben streckte sich noch ein Arm heraus, worauf wir uns sogleich entfernten und alles wieder zusperrten, auch die hintere Öffnung, wir gingen zur Haustür hinaus, sandten den Knecht zum Bundesweibel, um die Sache anzuzeigen. Wir warteten vor dem Haus, damit niemand mehr hineinging, bis die Obrigkeit da war. Es kamen dann einige Leute, aber niemand ging ins Haus. Der Sculmser ging fort, die Rhäzünserin ging nach Rhäzüns zurück. Sonst habe ich nichts mehr anzugeben.
Seine Aussage wurde ihm vorgelesen. Er hörte aufmerksam zu, nickte
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