Die Dunkelheit in den Bergen
wollten sich einfach nicht vertreiben lassen. Herrgottsack!, fluchte er und fuchtelte mit der Hand durch die Luft. Heute kommt noch was herunter, das wird krachen, lachte er und zeigte nach oben.
Die Wolken waren schwarz geworden, der Wind wirbelte Heustaub auf.
Nach dem kurzen Halt fuhren sie weiter. Der Weg führte tief ins Carrerabachtobel hinein, überquerte den Carrerabach auf einer Holzbrücke und führte dann wieder hinaus, immer in gleicher Höhe, bis hinter der nächsten Biegung das nächste Dorf zu sehen war.
Valendas war um einiges größer als Carrera. Um den Dorfplatz reihten sich Bürgerhäuser mit schmucken Fassaden. Auf dem Platz stand ein Holzbrunnen, so groß, dass man darin hätte schwimmen können. Als Brunnenfigur diente eine hölzerne Wassernixe. Hostetter ließ die Pferde aus dem Brunnen trinken. Rauch begleitete den Baron durch das Dorf. Sie fragten nach einem Alois und ernteten erstaunte Blicke.
Alois?, sagte ein alter Mann, der Alois traut sich die nächsten hundert Jahre nicht mehr her. Das ist sicher. Nicht nach Valendas. Der hat sich zu viele blaue Flecken geholt, als wir ihn weggejagt haben. Beim Jörimann unten haben sie gehaust, die ganze Bande, aber das Gesindel haben wir ausgeräuchert. Die Hütte haben wir abgebrannt, damit sie nicht noch einmal herkommen.
Wer sind diese Personen?, fragte der Verhörrichter.
Na, der Alois halt. Und ein Clavadetscher. Von den meisten wusste man nicht mal einen Namen.
Rauch zückte wieder sein Büchlein und den Stift.
Alois Clavadetscher?, fragte der Verhörrichter.
Nein, nein, der Kaufmann Alois. Und der Clavadetscher Heiri.
Rauch ragte die Zungenspitze aus dem Mundwinkel, als er die Namen notierte.
Und die Brüder Bonadurer aus Versam? Gehören die auch dazu?
Der Jüngere, ja, der Hans aus Pitasch. Der andere nicht unbedingt. Aber das ist jetzt schon noch lustig, dass Ihr nach ihm fragt.
Warum lustig?
Weil er hiergewesen ist und seinen Bruder gesucht hat.
Wann war das?
Vor ein paar Tagen erst, letzte Woche, am Freitag. Ich habe ihm gesagt, dass der Alois mit seiner Bande abgehauen ist, fort aus dem Dorf, zu den Romanischen. Um seine blauen Flecken abzukühlen.
Der Baron blickte über das Tal. Auf der anderen Seite des Rheins lag das Dorf Sagogn, gleich daneben Schleuis mit dem Schloss Löwenberg, dem Familiensitz der von Monts. Schon seit so vielen Jahren stand das Schloss leer. Fenster waren aufgebrochen worden. Es zog Gesindel an, hatte ihm der Landrichter aus Ilanz geschrieben. Die Leute aus dem Dorf konnten nicht auf das Schloss aufpassen. Sein Vater hatte sich bis heute nicht dazu entschließen können, das Gut zu verkaufen. Außerdem interessierte sich niemand dafür. Es war kein angenehmer Gedanke, aber wenn die Spur der Verdächtigen dorthin führte, musste er ihr folgen.
68 Die Suche nach den Brüdern Bonadurer zog sich in die Länge. Das gefiel dem Baron nicht. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich der Verhaftung entzogen. Er hatte gedacht, dass beide in Versam auf ihn warteten. Das war dumm von mir gewesen, dachte der Baron. Schließlich wartete der Galgen auf sie. Falls sie an dem Mord beteiligt waren. Worauf ihre Flucht hinzudeuten schien. Oder hatten sie bloß Angst vor der Justiz?
Es war inzwischen Nachmittag, und der Himmel hatte sich auf beängstigende Weise verfinstert. Unter der Wolkendecke schossen manchmal Sonnenstrahlen hervor, und ein einzelner Flecken im Tal wurde erleuchtet, dann wurde es gleich wieder dunkel. Der Wind wehte unruhig. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Gewitter losbrach.
Die Karosse folgte dem Fahrweg hinunter zum Rhein. Mehrere Kehren führten steil nach unten, die Pferde gingen im Schritt. Baron von Mont dachte darüber nach, wo sie die Nacht verbringen könnten. Um nach Chur zurückzufahren, war es schon zu spät. Dafür bräuchten sie einen ganzen Tag.
Die bevorstehende Nacht, das drohende Gewitter und die Kutschenfahrt, das waren die drei Voraussetzungen für die rapide Verschlechterung seiner Verfassung. Die Hufe schlugen auf den Fahrweg, die Räder rumpelten, die Karosse ächzte. Ein Unwohlsein befiel den Baron, das nicht vom Schaukeln herrührte. Eine schlechte Stimmung, Ahnungen, dann Erinnerungsfetzen. Er hasste diesen Zustand und versuchte ihn jeweils mit allen Mitteln zu vermeiden. Er überlegte, ob es besser wäre, gleich nach Ilanz zu fahren und sich dort ein gutes Nachtquartier zu suchen. Dann könnte er eine Mannschaft zusammenstellen und dem Schloss beim
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