Die Dunkelheit in den Bergen
Regen, eine in sich zusammengefallene Gestalt ohne Kopf.
Die Straße führte am Fluss entlang, der vom Unwetter angeschwollen war. Graues Wasser, das sich in dieselbe Richtung bewegte wie die Kutsche. Unvermittelt sackte die Kutsche auf einer Seite ein, es gab einen starken Ruck, und Heinrich und Onna Balugna wurden nach vorne gegen den Kutschbock geschleudert. Plötzlich war überall Wasser. Es schien von unten aus dem Boden zu schießen. Der Knecht war verschwunden. Vor sich sah Heinrich die nasse Kruppe des Pferdes. Es sah aus, als wollte es in den Himmel hinaufspringen, aber das Gewicht der Kutsche hinderte es daran und zog es nach unten. Das Pferd wieherte panisch, es klang wie das Gebrüll eines großen Raubtiers. Dann versank alles im Wasser, Heinrich wurde weggeschwemmt, er sah nichts mehr, weder das Pferd noch die Kutsche, Onna Balugna oder Felix. Da war nur noch das kalte Wasser, das ihn fortriss.
71 Hostetter und Rauch fuhren im Trab durch den Regen und wurden triefend nass. Der Fahrweg führte oberhalb des Rheins auf das Dorf Schleuis zu. Die Berge waren von dichten Wolken verhüllt. Immer wieder trieb der Wind starke Schauer vor sich her. Wenn ein Blitz niederging, glänzten die nassen Pferde im grellen Licht. Ihr Wiehern klang nervös und angriffslustig. Was für eine Zumutung, bei diesem Unwetter unterwegs zu sein. Das Wasser lief den Weg entlang und fraß tiefe Rillen in den Schlamm. Wie das morgen wieder aussehen würde! Wie ein Bachbett, nicht wie ein Fahrweg. Das Rauschen und Plätschern war überall. Von der Kutsche war nichts zu hören, als sie im Schritt ins Dorf hineinfuhren. Niemand kam aus dem Haus, als die schwarze Karosse stehen blieb. Das Wasser rauschte von den Dächern, ließ Fässer und Brunnen überlaufen und suchte sich seinen Weg durch die Gassen.
Die Tür der Kutsche schwang auf, ein schwarzer Schirm wurde aufgeklappt, der Verhörrichter stieg aus und befahl Hostetter zu warten. Rauch begleitete den Baron zu einem Haus. Auf das Klopfen hin geschah zunächst nichts. Sie standen unter dem Vordach und warteten. Es dauerte lange. Der Baron klappte den Schirm zu und klopfte erneut. Dann endlich öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, und eine ältere Frau blickte ihnen entgegen.
Guten Abend, sagte der Baron.
Die Frau blickte argwöhnisch vom einen zum andern, dann zu der schwarzen Karosse hinüber, die im strömenden Regen stand.
Ist der Herr im Haus?, fragte der Baron.
Der Alte oder der Junge?
Gleich welcher, Hauptsache, einer ist da.
Wer seid Ihr?, wollte sie wissen.
Ihr kennt mich nicht?, fragte er zurück.
Nein, sagte sie nach einigem Zögern.
Heinrich.
Jessas! Jetzt, ja: der Heinrich! Das ist jetzt eine Überraschung. Das sind ja – wie lange ist das denn her?
Seit unsere Familie weggezogen ist? Dreiundzwanzig Jahre, antwortete der Baron.
Kommt herein! Meine Güte, dreiundzwanzig Jahre!, wiederholte sie, dann öffnete sie die Tür ganz und rief ins Haus hinein: Fidel! Schau mal, wer da ist.
Sie ging voran durch den Vorraum, der mit großen Stein-platten belegt war. Rauch bückte sich und folgte dem Baron ins Haus.
Sie waren beim früheren Gutsverwalter der Familie von Mont. Der Schlüssel von Schloss Löwenberg wurde immer noch hier verwahrt. Der Bauer Fidel Caprez war inzwischen über sechzig Jahre alt, ging gebückt und krumm, blickte ihnen von schräg unten ins Gesicht und freute sich über das Wiedersehen. Der Umzug der Familie von Mont ins Tirol hatte damals viel Aufregung verursacht. Und nun stand der damalige Junge als kantonaler Verhörrichter vor ihm.
Ja, und der hatte im Augenblick nicht die Muße, sich an den Tisch zu setzen und über vergangene Zeiten zu plaudern. Er war auf der Suche nach zwei Brüdern Bonadurer, aus Versam der eine, aus Pitasch der andere. Sie waren wahrscheinlich in Begleitung eines Alois Kaufmann aus Valendas und einiger anderer zwielichtiger Gestalten. Fidel Caprez kannte das Gesindel.
Sind diese Leute vielleicht im Schloss?, fragte der Verhörrichter, der Bauer antwortete: Das könnte gut sein.
Der Verhörrichter fragte, ob es möglich sei, heute Abend ein paar Männer aufzutreiben und dem Schloss einen Besuch abzustatten.
Fidel Caprez kratzte sich am stoppeligen Kinn und nickte. Die haben alle ihre Fuder unters Dach gebracht und sind jetzt im Stall oder zu Hause.
Er nahm einen Umhang vom Haken und Hut und Stock. Mach ihnen etwas Heißes zu trinken, bis ich wieder da bin, sagte er zu seiner Frau und ging zur Tür.
Ein
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