Die dunkle Armee
Barias?«
»Barias muss mit seinem Gewissen seinen Frieden schließen. Genau wie wir alle.«
26
859. Zyklus Gottes,
35. Tag des Genasauf
H ier war es noch schlimmer als im Chaos des Aufmarschplatzes. Nunan führte seine stark dezimierte Legion an. Seine höchstens noch hundert Sarissenträger hatten sich auf der Straße und den Abhängen des Tals, durch das sie verlief, verteilt. Mit dem Gladius bewaffnete Infanteristen bewachten so gut wie möglich die Flanken, aber die Linie war erschreckend dünn. Höchstens zwölfhundert Kämpfer, kaum mehr.
Aber das war noch nicht einmal das Schlimmste. Er war der Ansicht, sie könnten sich eine ganze Weile gegen reguläre tsardonische Soldaten behaupten. Da er seine paar Bogenschützen geschickt platziert hatte, würde den Gegnern ein Angriff über den bewaldeten Hang teuer zu stehen kommen. Aber die Toten brachten jedes Herz zum Stocken, und jeder Mann und jede Frau verzagte bei diesem Anblick.
Sie waren nicht mehr weit entfernt, liefen gleichmäßig und einigermaßen geordnet. Doch es war eine Parodie. Hundert Tote in der Breite, zehn in der Tiefe. Manche hatten Schilde, die meisten nicht. Einige führten Sarissen, aber die meisten waren mit dem Gladius bewaffnet. Auf den ersten Blick konnte man sie für eine lebendige, unversehrte Truppe halten. Doch der zweite Blick erzählte eine ganz andere Geschichte.
Manche gingen unbehindert, andere zogen ein Bein nach, humpelten schwer oder schwankten sogar, als könnten sie nicht richtig das Gleichgewicht halten. Kaum einer, der völlig aufrecht ging. Hängende Schultern, gebeugte Rücken, fehlende Arme, hin und her pendelnde Köpfe. Und alle blieben völlig stumm. Nur das Schlurfen ihrer Füße auf dem Boden war zu hören. Ein schreckliches Kratzen, das den Mut der Verteidiger untergrub.
Nunan richtete sich zu voller Größe auf. Er hatte das Kommando allein inne, denn Kell hielt noch die tsardonische Armee in Schach, die es offenbar nicht besonders eilig hatte. Der Grund war leicht einzusehen. Nunan hätte es auch nicht riskiert, seine eigenen Leute ins Feld zu schicken, wenn es andere gab, die deren Aufgabe mit grauenhafter Zielstrebigkeit erledigen konnten.
Furcht und Unsicherheit griffen in seiner Legion um sich. Noch standen die Banner aufrecht, aber die Hände, die sie hielten, schwitzten. Das zunehmende Licht bot den Soldaten Anblicke, die sie sich am Abend, als die Nacht gekommen war, nicht hätten träumen lassen. Sie verzagten schon, obwohl die Toten noch vierzig Schritte entfernt waren.
Nunan stellte sich vor sie und drehte sich um. Es war recht still, und seine Truppe war so klein, dass ihn sicherlich alle verstehen konnten.
»Bärenkrallen, Zweite Legion von Estorr. Wir wissen, was uns bevorsteht, und davor fürchten wir uns. Dort kommen Leute, die wir alle kennen. Leute, an die ihr euch erinnern werdet. Freunde, die neben euch standen, bis der böse Wind getobt hat. Ich weiß, es ist schwer einzusehen, aber diejenigen, die dort gegen uns marschieren, sind nicht mehr diejenigen, die wir einst kannten. Wir sahen sie sterben. Vergesst das nicht. Auch wenn sie laufen, sie leben nicht. Glaubt aber ja nicht, ein wandelnder Toter wäre ungefährlich.
Wir haben eine wichtige Aufgabe. Die Konkordanz darf nicht in Gefahr geraten. Wir müssen die Toten hier aufhalten, und dann müssen wir uns den wahren Feinden stellen. Betet bei jedem Schlag, den ihr gegen eure früheren Freunde führt, dass sie fallen und endlich den Frieden finden mögen, der ihnen verwehrt wurde. Bärenkrallen, nun kämpft, um eure Freunde aus dem Bann zu befreien. Tut es für sie, für Estorea und für mich!«
Wie aus einem Munde antworteten sie ihm. Er nickte und beschied den Zenturionen, die jetzt keinen Schwertmeister mehr hatten, das Kommando zu übernehmen. Dann lief er durch die Reihen, suchte den Blick seiner Leute und versicherte ihnen, dass er an sie glaubte. Schon gaben die Offiziere die ersten Befehle.
»Sarissen senken! Schwerter an den Flanken bereit machen! Auf meinen Befehl vorstoßen. Lähmt sie mit euren Streichen.«
Nunan wandte sich nach links und trottete rasch den Abhang hinauf, um eine bessere Übersicht zu bekommen. Seine dreißig Extraordinarii stießen zu ihm.
»Danke für eure Bemühungen«, sagte er. »Aber jetzt gibt es noch mehr zu tun. Unterstützt die Legion. Gebt ihnen die Kraft, die sie brauchen. Dort unten haben selbst die Triarii Angst.«
»Ja, General.« Der Hauptmann salutierte, indem er sich mit
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