Die dunkle Armee
dort draußen nichts zu tun hatten. Sie fühlen sich damit nicht wohl, und das kann ich gut verstehen. Sie fragen sich, ob Tsard von dir unterstützt wird, oder ob Tsard dich und die Toten unterstützt. Sie brauchen die Gewissheit, dass sie die Macht haben, und dass ich diese Macht verkörpere. Ich stehe hier auf dem Boden der Konkordanz. Du hast dich für Tsard hier, in Atreska und in Gestern sehr eingesetzt. Nein, schweige jetzt. Ich weiß, dass wir nur triumphiert haben, weil du an deiner Selbstgefälligkeit erstickt wärst, wenn es anders gekommen wäre. Ich habe bisher Nachsicht mit dir geübt, aber du solltest dich allmählich eines fragen: Wer braucht hier wen? Und was wirst du tun, wenn sich meine Männer offen gegen dich auflehnen?«
»Sie wissen alle, dass ich den Oberbefehl habe, weil er dir nicht traut.«
Rhyn griff zur Klinge, seine Männer folgten seinem Beispiel.
»Das ist eine Lüge, für die du büßen wirst, Westfallen.«
»Du kannst mich nicht einschüchtern, Rhyn-Khur. Trotz all deiner Worte wirst du deine wichtigste Waffe nicht wegwerfen. Ich räume ein, dass wir uns gegenseitig brauchen, und das soll von mir aus auch noch lange so bleiben.«
»Du hast die Befehlsgewalt nicht allein inne, und du wirst deine Werke erst wieder verrichten, wenn ich dir die Erlaubnis dazu gebe. Du stehst mit einem Fuß im Grab, Westfallen.«
»Und du bist einen Schritt davon entfernt, in den Augen deines Vaters als Versager dazustehen. Jetzt geh bitte. Ich muss meine Kräfte sammeln, denn sonst wird deine Invasion der wenigen gegen die vielen scheitern.« Gorian beugte sich vor. »Das wissen wir beide ganz genau, nicht war?«
»Ich meine es ernst.«
»Du wiederholst dich«, antwortete Gorian. Rhyn-Khur wandte sich zum Gehen. »Mein Prinz? Genieße heute Abend den Wein. Soweit ich weiß, geht ein ausgezeichneter Jahrgang zur Neige. Und mach dir keine Sorgen. Morgen wirst du die Welt mit ganz neuen Augen betrachten.«
Der Prinz sah ihn finster an und ging hinaus.
»Wirst du ihn morgen angreifen lassen, Vater?«, fragte Kessian.
»In gewisser Weise schon«, sagte Gorian. Dann lächelte er strahlend und legte Kessian eine Hand auf die Schulter. Er hockte sich vor ihn. »Aber jetzt musst du schlafen. Wir haben morgen große Anstrengungen vor uns, und so wird es jeden Tag weitergehen, bis wir Estorr erreichen.«
»Estorr?«, fragte Kessian aufgeregt.
»Wie ich es dir versprochen habe. Sagte ich nicht, dass wir nach Estorr gehen? Wir werden eine Weile hier bleiben, aber du wirst deine Mutter so bald wieder sehen, wie es mir nur möglich ist.«
Kessian unterdrückte ein Schluchzen. »Danke, Vater. Danke.«
»Ich sagte dir ja, du kannst mir vertrauen. Habe ich dich bisher auch nur einmal angelogen?«
»Nein. Es tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe.«
»Deine Reise ist fast vollendet. Aber jetzt geh schlafen, denn sonst wird dir jeder weitere Schritt sehr schwer fallen.«
Kessian eilte zu seinem Bett und dachte an seine Mutter, seine Freunde und sein Segelboot.
»Was willst du tun?«, fragte er Gorian, als er sich zudeckte.
»Das zeige ich dir morgen. Keine Sorge, ich werde dich rechtzeitig wecken.«
Kessian schloss die Augen und schlief mit angenehmen Erinnerungen ein.
General Davarov saß in Haroq in einem hohen Turm der königlichen Burg und blickte über die Stadtmauern hinweg nach Osten, wo Tsard lag. Er mochte nicht glauben, was er dort sah, auch wenn sich das Verhängnis ebenso bedächtig wie unaufhaltsam näherte. Jedes Mal, wenn er durch das Spähglas blickte, schauderte er und rieb über die Schulterwunde. Er war der Letzte gewesen, der noch gestanden hatte, als er diese Wunde abbekommen hatte. Hätten sich nicht einige seiner Getreuen entschlossen, ihn zu retten, dann wäre er jetzt einer von denen, die als Vorhut vor der Invasionsarmee durch Atreska marschierten.
Davarov hatte Botschaften nach Estorr geschickt. Außerdem gab es Gerüchte über schwere Niederlagen in Gestern. Atreska verwandelte sich abermals in ein Schlachtfeld, und der einzige Trost war, dass es nicht lange dauern würde. Die Tsardonier hatten kein Interesse daran, das Land zu besetzen. Genau das war aber auch die Tragödie, denn sie würden rücksichtslos kämpfen und jeden töten, der auf Seiten Atreskas oder der Konkordanz stand, und auf diese Weise ständig ihre Armee verstärken.
Davarov schüttelte den Kopf. Megan Hanev, seine Marschallverteidigerin, war im Solastropalast, und in ihrer Abwesenheit war er der
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