Die dunkle Armee
Sympathie für die Tsardonier empfand, und doch klammerte er sich an alte Ideen, die ihm nichts nützten. Es gab noch viel zu tun.
»Hast du nicht gehört, was die Herren der Toten dir erzählt haben?«, fuhr Gorian fort. »Der Tod ist nicht das Ende. Er ist nur ein Schritt auf einem langen Weg. Er kommt zu uns allen, und die meisten Menschen können nicht bestimmen, wann es so weit sein soll. Ich habe dies für die Tsardonier und den Prinzen entschieden. Was soll daran falsch sein?«
»Aber was ist mit den anderen da draußen?«
Gorian lächelte. »Ah, du beginnst nachzudenken. Du hast recht. Wahrscheinlich werden sie sich nicht darüber freuen. Aber das ist schon in Ordnung, denn auch für sie habe ich etwas geplant.«
Er kratzte sich an der verfärbten Haut auf der Wange. Der Fleck war erschienen, als er am Vortag die Toten vor der Burg erweckt hatte. Kessian hatte es genau gesehen.
»Was ist das?«
»Nicht alles unter der Erde ist gut«, erwiderte Gorian. »Es wird bald wieder verschwinden. Auch das ist ein Teil der Lektion. Jetzt werde ich die braven Leute wecken und an die Arbeit schicken. Du musst sie für mich halten, bis die Karkulas bereit sind. Dann werde ich dir etwas Neues und Erstaunliches zeigen.«
»Wann denn?«
»Gute Frage.« Gorian überlegte. Er musste einen dem Ereignis angemessenen Zeitpunkt wählen. Alle sollten erkennen, was geschah, und seine Begabung bewundern. »Ich glaube, in der Morgendämmerung. Im ersten Morgenlicht. Und jetzt halte meine Hand. Ich brauche dich.«
Gorian setzte sich, zum Bett des toten Prinzen gewandt, auf einen Stuhl. Kessian trat neben ihn und setzte sich auf den Boden. Dann legte Gorian seinem Sohn eine Hand auf den Kopf, fand den Zugang zur Kraft des Jungen und staunte wieder einmal über dessen mächtige Energie. Gorian und die anderen ursprünglichen Aufgestiegenen besaßen ein Energiereservoir, das Arducius im Vergleich zu den Kräften der Elemente, die sie in sich aufnahmen, als kleinen Wassereimer bezeichnet hatte. Kessians Kräfte hätten eher einem ganzen Stausee entsprochen.
Wenn der Junge sie wirklich verstand, wäre er eine ungeheure Macht in der Welt. Gorian wollte ihn an seiner Seite wissen, wenn dies geschah. Schon jetzt war er in der Lage, Werke über sehr lange Zeit aufrechtzuerhalten. Wichtiger war noch, dass er es wie die Gor-Karkulas unbewusst tun konnte. Das war ein Geschenk, und Gorian war entschlossen, dieses Geheimnis eines Tages zu lüften. Es musste einen Weg geben, das Reservoir zu erweitern und damit auch die Dauer und Wirkkraft jedes Werks zu vergrößern.
Gorian ließ Ruhe in seine eigenen und in Kessians Lebenslinien einfließen. Unter den sanften Tönen entspannte sich der Junge, während Gorian mit dem Geist hinausgriff und die Energien der Burg erforschte. Ganz anders als am Vortag. Die chaotischen Farben und die vielfältigen Linien, die für Hunderte lebender Menschen gestanden hatten, waren verschwunden und einer tiefen Ruhe gewichen.
Die kalte Dunkelheit der Steine ruhte auf der übermächtigen Kraft der Erde, und darüber zeichneten sich die Körper der vergifteten tsardonischen Krieger als graue Umrisse ab. Die Aufgestiegenen hatten immer gedacht, grau sei die Farbe, die bliebe, wenn die Energie geschwunden war. Sie hatten sich geirrt. Das Grau wartete nur darauf, belebt zu werden. Wiedererweckt zu werden.
Neues Leben bringen, wo es keines mehr gab. Das war ein Geschenk, das eines Gottes würdig gewesen wäre.
Die gemächliche Energie der Erde war schön. Ein sich langsam bewegendes Braun, durchzogen von den zierlichen Bahnen winziger Insekten und dem leisen Strahlen der Pflanzen, die auf den richtigen Augenblick warteten, um zu wachsen, und von kleinen Tieren, die ihren Geschäften nachgingen. Gorian zog die Energien der Erde an sich und schauderte, als die gewaltige Kraft in ihn eindrang. Kessian keuchte, denn es war schön und schmerzhaft zugleich. Der Junge beruhigte sich bald wieder. Gorian und Kessian waren nun ein Teil des Kreislaufs der Erde.
Letzten Endes war es sehr einfach gewesen, die Toten zu wecken. Die Energiestruktur ähnelte einem heftig aufflackernden Feuer, doch Gorian hatte lange üben müssen, bis er die Fähigkeit erlangt hatte, die Toten, sein Volk, in großer Zahl wandeln zu lassen und sein Werk nicht durch Schwankungen in der Energiezufuhr zu gefährden.
Gorian baute die Struktur auf, mit der er ihnen das Leben zurückgeben wollte. Irgendwie zählte sein Unterbewusstsein die Zahl der
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