Die dunkle Armee
deinen Kummer, aber nicht deine Hoffnungslosigkeit. Wir müssen jetzt beweisen, dass die Konkordanz nicht so leicht untergeht. Du wirst alle einen, die noch da sind, zurückschlagen und den Sieg erringen.«
Roberto schüttelte den Kopf. »Die Zukunft liegt hier, und sie stirbt. Er stirbt. Es tut mir so leid, Adranis.«
Dahnishev fasste Robertos Kopf und drehte ihn zu sich herum.
»Ich will nichts davon hören, Roberto, und meine Legion darf es schon gar nicht hören. Wir brauchen dich. Lass dich nicht hängen, nicht jetzt. Du hast noch nie aufgegeben, und ich will lieber sterben, als dich dieses Mal aufgeben zu lassen. Ich hoffe, ich habe mich deutlich ausgedrückt.«
»Was bist du? Mein Vater? Wer bist du, dass du mir sagst, wie ich handeln und mich fühlen soll?«
Dahnishev nickte und zog sich zurück. Dann ging er auf die andere Seite des Zelts, um seine Instrumente zu ordnen und sie in die Lederhüllen zu stecken, damit sie für den Aufstieg bereit waren.
»Es tut mir leid, Dahnishev. Das war nicht gerecht. Verzeih mir.«
»Es wird Zeit, dass du tust, was du hier tun musst, Roberto«, sagte Dahnishev unwirsch. »Der Trank, den du ihm gegeben hast, wird sein Herz bald zum Stillstand bringen. Bist du sicher, dass es nicht jemand anders übernehmen soll?«
»Das wäre ein letzter Verrat, nicht wahr? Er ist mein Bruder.«
Wieder nickte der Feldarzt. »Ich warte draußen.«
Roberto sah ihm hinterher.
»Jetzt sind wir allein, mein kleiner Bruder.« Ungehemmt rollten ihm die Tränen über die Wangen. Er schob eine Hand unter Adranis’ Hemd und tastete nach dem Herzschlag. Er war schwach und ungleichmäßig. »Warum musstest du fallen, Adranis? Ich hätte als Erster die Reise in Gottes Umarmung antreten müssen. Ich hätte vor dir dort sein müssen, um dich später willkommen zu heißen. Der Allwissende wird dich behüten.«
Adranis’ Herzschlag setzte aus. Roberto hob ihn hoch und drückte ihn noch einmal schluchzend an sich.
»Lebewohl, mein Bruder. Die ganze Konkordanz wird um dich weinen, aber niemand so sehr wie ich.«
Eine kleine Ewigkeit lang hielt er ihn fest. So warm war der Körper seines Bruders, nachdem gerade erst das Leben aus ihm gewichen war. Und was Roberto nun tun musste, war entsetzlich. Widerstrebend legte er Adranis aufs Bett und trat zurück. Die Axt lag neben ihm auf den Brettern, die er unter Adranis’ Hals und dessen Knie legen musste.
Er bückte sich und hob die Bretter auf. Dann starrte er die Axt an und hatte einen bitteren Geschmack im Mund.
»Dass es so weit kommen musste«, flüsterte er. »Gorian Westfallen, ich schwöre dir im Namen der Del Aglios, dass du für alles büßen musst, was du getan hast.«
Roberto kniete sich vor die Axt, küsste die Klinge und betete, dass sie scharf genug sei. Er hob sie mit beiden Händen, richtete sich zitternd auf und drehte sich ein letztes Mal zu seinem Bruder um.
»Verzeih mir.«
Dann schlug er zu.
Dina Kell hörte Robertos Verzweiflungsschreie. Viele andere im Leichenhaus, das einst ein Feldlazarett gewesen war, hörten es ebenfalls. Es war ihr egal, wenn die Laute dieser entsetzlichen Nacht bis zu den Tsardoniern drangen und sie auf irgendeine Weise alarmierten. Sie sollten ruhig hören, zu welch verzweifelten Maßnahmen Gorian die Estoreaner gezwungen hatte.
Inzwischen wünschte sie, sie wären schon am Morgen vor der Dämmerung geflohen. Allerdings wusste sie auch, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte, als bei den Verletzten zu bleiben und einen Ausweg zu suchen. Nunan hatte das Menschenmögliche getan, aber in den Augen der Infanterie wäre es niemals genug. So viele lagen jetzt verstümmelt im Grab. Seite an Seite und sogar übereinander. Sie hatten nicht genug Zeit und Leute gehabt, um ein ordentliches Begräbnis durchzuführen. Julius Barias war völlig außer sich. Immerhin hatte er sich freiwillig dazu gemeldet, bei den Verteidigern zu bleiben, die den Abzug der anderen deckten.
Es wurde langsam hell, auch wenn die Morgendämmerung noch nicht richtig begonnen hatte. Jeden Moment würden die Tsardonier die Flucht bemerken und mit aller Macht angreifen. Sie würden rasch bemerken, dass sich ihnen kein einziger Krieger der Bärenkrallen in den Weg stellte. Die Legion hatte sich zurückgezogen, nachdem die Feuer entfacht waren, die die Bewegungen im tiefen Schatten hinter den hellen Flammen verbargen.
Vielleicht hätten sie sogar mitten in der Nacht ausbrechen können, aber dann wäre weniger Legionären
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