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Die dunkle Armee

Titel: Die dunkle Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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ihnen die Kraft, zu laufen und das Schwert zu schwingen. Kessian bildete jetzt das Zentrum dieses Kreislaufs. Wenn er losließ, würde sich binnen eines Herzschlags alles auflösen, und die Toten würden stürzen. Doch Kessian würde nicht loslassen. Der Junge wusste nicht einmal, wie er es hätte tun sollen.
    Gorian stand auf und streckte seine zitternden Glieder. Dann betastete er seine Haut und blickte an sich hinab. Unter der Toga war die Haut verfärbt, und er hatte kleine Beulen bekommen. Hellgrün, braun oder purpurn. Wie verblassende Prellungen, doch sie bedeckten seine ganze Brust. Wenn man etwas Reines erschaffen wollte, musste man das Unreine herausfiltern. Es würde verschwinden, sein Körper würde sich erneuern. Er war ein Aufgestiegener. Er war der Herr der Elemente und ihnen nicht unterworfen.
    Gorian dachte daran, dass er eigentlich hätte müde sein müssen, doch er fühlte sich wach und lebendig wie noch nie im Leben. Auch Rhyn-Khur erhob sich jetzt aus seinem Bett und ging zum Gestell mit seinen Waffen. Schweigend kleidete er sich an, mit präzisen, langsamen Bewegungen. Nicht völlig natürlich, denn er war eine Marionette. Gorian lächelte.
    »Genieße dein neues Leben, mein Prinz«, sagte er. »Es war dir vorbestimmt, seit du zu mir gekommen bist.«
    Dann drehte er sich zur Tür, die zum Vorzimmer führte.
    »Edler Runok!« Das dumme, tätowierte Ungeheuer kam herein, der Edle Tydiol folgte ihm. »Eure Armee erwartet Euch. Die Männerwerden gleich draußen sein.«
    »Es ist mir eine Ehre, sie zu führen«, erwiderte Runok. »Wird ein Gor-Karkulas den Schlüssel halten?«
    »Sobald es möglich ist. Edler Tydiol, bald ist es an der Zeit, auch für Euch eine Armee zu erschaffen.« Gorian ging zur Tür, er wollte unbedingt die frische Luft im Gesicht spüren. »Schickt sie die Straße hinauf bis zu den Felsen. Viele sind uns entkommen, während ich geruht habe. Es ist Zeit, dass die anderen sich zu uns gesellen, meint Ihr nicht auch?«

 
30

    859. Zyklus Gottes,
    36. Tag des Genasauf
     
    E r hat keine Schmerzen«, sagte Dahnishev. »Nein, die habe vielmehr ich«, erwiderte Roberto.
    »Del Aglios, das sieht dir gar nicht ähnlich.«
    Die Morgendämmerung nahte. Hunderte waren über den Pfad auf die Klippe geflohen. Andere warteten und fragten sich, ob sie auch noch eine Gelegenheit bekommen würden. Ihre Kameraden hielten Ausschau und beobachteten die Tsardonier. Die Kavallerie war bereit, einen Vorstoß zu unternehmen. Alle hatten ihre Befehle bekommen.
    Dahnishev und seine Ärzte gingen zwischen den Kranken und Sterbenden umher und wiesen die Schwertträger der Triarii ein, die die grausame Aufgabe übernommen hatten, diejenigen zu töten, die nicht hoffen konnten zu fliehen. Die entsetzlichen Geräusche des Gemetzels – die Beine abtrennen, damit sie nicht mehr laufen konnten, und die Köpfe, damit sie als lebende Tote nichts sehen konnten – waren die ganze Nacht über im Feldlazarett zu hören gewesen. Nur eine Handvoll war jetzt noch am Leben. Das Flehen jener, die glaubten, sie hätten etwas Besseres verdient, obwohl keine Hoffnung für sie bestand, würden die Überlebenden nie mehr vergessen.
    »Vielleicht nicht«, erwiderte Roberto, der abermals die Stirn seines Bruders mit einem feuchten Tuch kühlte. »Aber ich habe hier drinnen gesessen oder draußen gestanden, mein Gewissen erforscht und mir vor Augen gehalten, was ich getan habe. Und ich muss feststellen, dass ich die Schuld trage. Egal, was du sagst, ich hatte den Befehl über die Armee, bei der auch Gorian war, und ich ließ mich überreden, ihn zu verschonen. Guter Gott, vergib mir, Dahnishev, was habe ich nur getan?«
    »Du hast ihm Gnade erwiesen, Roberto. Du hast gezeigt, dass du ein Mensch bist. Ein fehlbarer Mensch wie alle anderen.«
    »Die Fehler der anderen Menschen ziehen nicht den Tod ihrer Brüder oder den Untergang der Konkordanz nach sich.«
    Roberto litt unter einem beißenden Schuldgefühl, das zu unterdrücken er kein Bedürfnis verspürte. Mit jedem Herzschlag musste er an verschiedene Ereignisse seines Lebens denken, und jedes einzelne empfand er nun im Nachhinein als sinnlos, weil er sich vor zehn Jahren in jenem Heerlager falsch entschieden hatte. Unausweichlich, aber mit fest geschlossenen Augen waren sie diesem Verhängnis entgegengegangen.
    »Diese Bitterkeit bringt doch nichts, Roberto«, sagte Dahnishev leise.
    »Was bleibt mir sonst, alter Freund?«
    »Reize mich nicht zum Zorn, Roberto. Ich teile

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