Die dunkle Armee
Herine, abermals gereizt. »Das habe ich geahnt.«
»Es tut mir leid, ich kann Euch nicht folgen«, sagte Ossacer.
»Doch, das könnt Ihr, und zwar sehr gut«, gab Herine zurück. »Ich erwarte, dass Ihr tut, was die Konkordanz verlangt. Was der General Eurer Armee verlangt, falls Ihr in den Kampf ziehen solltet, und ich kann Euch versichern, dass Ich Euch genau dort sehen will. Schließlich denke ich, dass ein Mann, der Hügel zum Einsturz bringen, Wirbelstürme erwecken und Flutwellen erzeugen kann, in einem Kampf recht nützlich sein könnte.«
»Damit würden wir alles zerstören, was wir in den letzten zehn Jahren mit so viel Mühe aufgebaut haben«, wandte Ossacer ein.
»Das erledigt schon Gorian für Euch. Wir müssen dieser Bedrohung begegnen.«
»Ich werde kein Werk verrichten, bei dem Menschen umkommen, und das wird auch kein Angehöriger der folgenden Generation tun«, sagte Ossacer.
»Ihr und sie, Ihr alle werdet tun, was Eure befehlshabenden Offiziere verlangen«, sagte Herine. Sie sprang auf und baute sich vor Ossacer auf, der unbeeindruckt blieb. »Wer sich auf dem Schlachtfeld weigert, Befehle auszuführen, wird hingerichtet.«
»So sei es. Wenigstens werde ich dann reinen Gewissens in die Umarmung Gottes aufgenommen.«
»Und verbrannt«, fuhr sie fort. »Ihre Asche wird im Wind verstreut.«
»Ihr könnt mir keine Angst machen, meine Advokatin. Ich werde mich nicht ändern.«
»Verdammt, der Krieg ändert alles und für alle Menschen.« Herines Ruf hallte zwischen den Wänden und Scheiben des Kanzleramts. »Ist Euer Gedächtnis denn so schlecht, dass Ihr es schon vergessen habt? Ihr habt bereits im Kampf Menschen getötet, um die Konkordanz zu retten. Das könnt Ihr guten Gewissens noch einmal tun.«
Sie wandte sich ab und biss sich auf die Zunge, um nicht noch mehr zu sagen.
»Ich glaube, wir sollten alle tief durchatmen«, sagte Arducius leise. »Es kommt oft zu Ausbrüchen, wenn unsre Fähigkeiten zur Debatte stehen, hier drinnen wie draußen auf den Straßen von Estorr. Ossacer, wir verstehen deine Position, aber du musst sie möglicherweise im Krieg aufgeben. Meine Advokatin, wenn es mir erlaubt ist, dann möchte ich die Vermutung äußern, dass Ihr Ossacers Haltung im Grunde respektiert und sogar unterstützt.«
»Schon wieder jemand, der meine Gedanken lesen kann«, murmelte Herine. »Bin ich denn ein offenes Buch?«
»Meine Advokatin?«
»Schon gut.« Sie wedelte mit einer Hand.
»Wir werden im Konflikt, wenn es so weit ist, unseren Teil beitragen«, versprach Arducius. Ossacer öffnete den Mund, aber Arducius brachte ihn mit einer Berührung zum Schweigen. »Wie dieser Beitrag aussieht, können wir erst entscheiden, wenn es so weit ist. Doch was die Aufgestiegenen der nächsten Generation angeht, Herine, so habe ich meine Zweifel. Sie sind noch unerprobt, und wenn der Krieg so nahe ist, wie Ihr glaubt, dann bleibt nicht genügend Zeit, sie auszubilden.«
»Auch Ihr wart unerprobt und dazu erst vierzehn Jahre alt. Drei Jahre jünger als die nächsten fünf Aufgestiegenen.«
»Wir zahlen noch heute den Preis dafür«, sagte Arducius. »Wir werden uns wohl nie von den Albträumen befreien können und nie die Schreie und das Donnern der einstürzenden Felsen vergessen. Das alles verschlingende Wasser und das Kreischen des Windes. Wir müssen mit dem leben, was wir getan haben. Ein einzelner Soldat tötet oder wird getötet. Wir stehen abseits und ermorden Tausende.«
»Ja!« Obwohl es völlig unangebracht war, musste Herine lächeln. »Stellt Euch nur vor, wie viele Bürger der Konkordanz Ihr damit rettet.«
»So würdet Ihr nicht denken, wenn Ihr die Kraft in Eurem Körper hättet«, erwiderte Ossacer. »Ein Schritt zu weit, und wir sind nicht besser als Gorian.«
»Allerdings bin ich sicher, dass Gorian keinerlei Hemmungen zeigen wird.« Herine nagte an der Oberlippe. Diese jungen Männer waren voller Leidenschaft. Und voller Angst.
»Ich verstehe das«, fuhr sie fort. »Wirklich, ich beneide Euch nicht um die Last, die auf Euren Schultern ruht, und respektiere Eure Sorge um diejenigen, die Euch nachfolgen. Ob Ihr es aber als Segen oder als Fluch betrachtet, Ihr besitzt Fähigkeiten, die uns in einem Krieg einen bedeutenden oder gar entscheidenden Vorteil verschaffen können. Das kann ich nicht ignorieren.«
»Ihr könnt aber auch nicht die Nachwirkungen ignorieren«, entgegnete Ossacer. »Außerdem finde ich die Annahme, die Aufgestiegenen seien vor allem Waffen,
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