Die dunkle Armee
so viele Jahre im Krieg treu gedient hatte. Der gosländische Wunderheiler war immer noch prächtig in Form.
»He, Vorsicht mit meinen alten Knochen«, grunzte Dahnishev.
»Du wirst niemals alt«, antwortete Roberto lachend.
Er sah wirklich nicht danach aus. Obwohl sicherlich schon über achtzig, wirkte er gut dreißig Jahre jünger, als wäre er in Robertos Alter. Groß und schlank und immer noch mit dem genialen Funken in den Augen.
»Ich habe gehört, dass du unterwegs seist, und dachte, du verlangst womöglich nach einem Arzt.«
»Drauf komme ich vielleicht sogar zurück.« Roberto löste sich von ihm. »Die sirranische Küche ist recht schwer verdaulich.«
Er ging einen Schritt weiter.
»General Kell.« Sie gab ihm die Hand, doch er fasste sie bei den Schultern und küsste sie auf beide Wangen. »Dina, es ist viel zu lange her.«
»Das finde ich auch, Roberto. Schön, dich zu sehen.«
»Und schließlich, wenn das nicht Pavel Nunan ist.« Die beiden Männer gaben sich die Hände, und Roberto klopfte ihm auf den Rücken. »Tut dir die Vaterschaft gut, Genera?«
Nunan kicherte. »Frag Dina. Sie erlebt es ja jeden Tag.«
»Er musste eine Menge lernen«, schaltete sich Kell ein. »Er behandelt die drei wie eine kleine Legion. Ich bin überrascht, dass sie zu ihren Großeltern nach Estorr durften und nicht vor dir strammstehen müssen.«
»Sie übertreibt. Na schön, sie haben Holzschwerter, aber sie haben auch Pferde, und mir will einfach nicht einfallen, worauf dieser Einfluss der Kavallerie zurückzuführen ist.«
»Von ihnen könnt ihr sicher Großes erwarten, und ich hätte mich gefreut, wenn ich sie hier getroffen hätte. Vielleicht ergibt sich irgendwann die Gelegenheit dazu. Aber da wir gerade von Familie reden, wo ist mein kleiner Bruder? Wo steckt Adranis?«
»So klein ist er gar nicht mehr, das kann ich dir sagen«, antwortete Kell.
Sie drehte sich um und blickte zur Ehrengarde, die auf der Brücke stand. Auf ihr Winken stieg der Anführer der Reiter ab und marschierte zu ihnen. Roberto schwoll das Herz vor Stolz. Adranis nahm den makellosen Helm mit dem Federbuch ab, warf seinen Mantel über eine Schulter und legte die ebenso makellose Rüstung frei. Er bewegte sich selbstsicher und ruhig. Kell hatte recht, er war kein kleiner Junge mehr, sondern zu einem starken Mann herangewachsen. Groß, mit schwarzen Haaren und einem Gesicht, das sicher schon eine Menge Herzen gebrochen hatte. Seine Miene blieb unbewegt, als er direkt hinter den beiden Generälen stehen blieb. Kell musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Rührt Euch, Meister Del Aglios, um Gottes willen.«
Darauf blickte Adranis rasch nach links und rechts, gab einem Adjutanten seinen Helm und stürmte los, um den völlig gerührten Roberto so heftig zu umarmen, dass dieser beinahe keine Luft mehr bekam.
»Ich bin so stolz auf dich, Adranis. Du machst dem Namen Del Aglios mit jedem Herzschlag alle Ehre.«
»Wo warst du nur so lange, Roberto?« Adranis hatte eine tiefe, melodische Stimme. »Ist Sirrane wirklich so verlockend, dass du dich bisher nicht losreißen konntest und erst kommst, wenn es Ärger gibt?«
Roberto zog sich zurück und sah seinem Bruder tief in die Augen.
»Ist das ein Vorwurf?«, fragte er lächelnd.
»Ein bisschen schon. Ich habe dich vermisst.«
»Aber ich habe oft von dir gehört. Mutter hatte recht, als sie dich General Kell überlassen hat. Siebenundzwanzig und schon Rittmeister der Bärenkrallen. Wie ich hörte, bist du ein ausgezeichneter Reiter.«
Darauf errötete Adranis, und Roberto hätte vor Freude über dessen Bescheidenheit fast geschluchzt.
»Ich muss noch viel lernen.«
»Von wem denn?«, schnaubte Kell.
»Dann glaubst du nicht, er sei mit siebenundzwanzig noch ein wenig zu jung und vorlaut für so ein Kommando?«, fragte Roberto zwinkernd.
Kell antwortete mit unbewegter Miene. »Schwerlich. Du solltest ihn sehen.«
»Vielleicht habe ich noch Gelegenheit dazu. Mein kleiner Bruder, ich kann dir nur eines sagen. Falls ich fallen sollte, wird die Konkordanz in dir einen fähigen Stellvertreter der Advokatin finden.«
Adranis holte tief Luft und keuchte, kämpfte die Tränen nieder und nickte befangen.
»Danke.«
»Nicht nötig. Du bist dazu geboren. Ich erkenne es sofort.« Roberto klopfte ihm auf die Schulter. »Komm schon, lass uns etwas essen und alle Neuigkeiten austauschen. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin halb verhungert.«
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859. Zyklus Gottes,
25. Tag
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