Die dunkle Armee
ja nur zu zweit, während sich derzeit schätzungsweise zweitausend Leser und Sprecher des Ordens und natürlich Felice Koroyan in Estorr aufhalten. Sie erscheint überall dort, wo auch wir sind. Ich erinnere mich gut an Eure Forderung, wir müssen den theologischen Streit für uns entscheiden, und genau das versuchen wir auch. Aber wenn wir an einem Ort den Leuten erklären, was wir darstellen, und uns bemühen, latente Fähigkeiten zu finden oder die Ängste der Menschen zu beschwichtigen, stellen sich morgens, mittags und abends an hundert anderen Orten die Leser der Kanzlerin vor die Häuser der Masken und schmähen uns als Ketzer. Ganz zu schweigen davon, dass sie die Angst schüren, Gorian könnte zurückkehren.«
»Vor diesem Problem haben vor Jahrhunderten die Missionare des Ordens in den neuen Gebieten auch gestanden.«
»Aber das hier ist Estorr, dies ist die Heimat«, widersprach Ossacer.
»Nicht für den Aufstieg«, fauchte Herine. »Niemand hat gesagt, dass es leicht würde. Ihr genießt meine Unterstützung, weil ich an Euch glaube. Was wollt Ihr sonst noch?«
»Gesetze«, sagte Arducius.
»Wozu? Wollt Ihr die Leute zwingen, Euch zuzuhören und zuzustimmen? Wollt Ihr es für illegal erklären, Arducius und Ossacer zu widersprechen? Gott umfange mich, manchmal frage ich mich, ob Ihr zwei auch nur einen Funken Verstand im Kopf habt. Ist Euch denn überhaupt nicht klar, warum Ihr solche Schwierigkeiten habt?«
Darauf breitete sich nachdenkliches Schweigen aus. Die beiden Aufgestiegenen wechselten einen Blick, was Herine beim blinden Ossacer immer beunruhigend fand. Diese leidenschaftlichen Augen konnten fast vergessen machen, dass Ossacer außer Energiebahnen nichts wahrnehmen konnte.
»Harte Arbeit und Eure Überzeugung reichen nicht aus«, fuhr sie fort. »Natürlich habe ich Berichte über Eure Bemühungen bekommen, und niemand kann bestreiten, dass Ihr Euch unermüdlich eingesetzt habt. Aber wenn Ihr versucht, sämtliche Einwohner von Estorr auf einen Schlag auf Eure Seite zu bringen, müsst Ihr scheitern.«
»Das ist ja noch nicht alles«, sagte Arducius. »Das Problem ist, dass der Orden alles wieder zunichte macht, sobald wir fort sind. Sie setzen viele Leute, Drohungen und die Geschichte als Waffen ein, und das alles steht uns nicht zur Verfügung.«
Herine holte tief Luft. Am liebsten hätte sie laut gelacht. »Unter allen Menschen auf der Welt müsstet doch gerade Ihr genau wissen, wie weit der Orden gehen würde, um seine Herrschaft über den Glauben der Menschen nicht zu verlieren. Dabei spielt es nicht die geringste Rolle, dass wir an denselben Gott glauben, den auch sie anbeten. Ihr kämpft dort auf verlorenem Posten. Was in entlegenen Orten von Bahkir und Morasia gelungen ist, lässt sich hier nicht wiederholen.« Sie legte sich eine Hand auf die Stirn. »Kommt es mir nur so vor, oder wiederhole ich mich schon wieder?«
»Nein. Doch, vielleicht schon«, sagte Arducius. Dann lächelte er. »Wir sind Euch unendlich dankbar für Eure Hilfe, für Euren Rat und Eure Unterstützung.«
»Das will ich doch hoffen«, antwortete Herine. »Und außerdem dürft Ihr nicht vergessen, dass die Advokatin immer recht hat.«
»Daran habe ich nie gezweifelt«, antwortete Ossacer. Offenbar war ihm die Ironie ihrer Bemerkung schon wieder entgangen.
»Deshalb sitzt Ihr nicht in Gefängniszellen, obwohl Felice dies Tag für Tag fordert. Eine wachsende Zahl meiner Bürger stimmt darin mit ihr überein.«
»Was kann uns nun die Advokatin heute Morgen über unsere Taktik sagen?«, fragte Arducius mit blitzenden Augen.
»Unterwandert Euren Feind«, sagte Herine. »Beginnt an den Rändern des Mosaiks und versucht nicht, es in der Mitte zu zerbrechen. Forscht nach, findet die Leser und Sprecher, die mit euch sympathisieren. Beratet Euch insgeheim mit ihnen und holt sie zusammen. Es gibt sie ganz gewiss. Wenn sie sich fürchten, dann beschützt sie. Ihr habt die Garde des Aufstiegs, fast eintausend gut ausgebildete Soldaten der Konkordanz. Setzt sie ein. Und wenn Ihr das nächste Mal zu den Bürgern sprecht, dann stellt Euch vor ein Haus der Masken und nicht vor einen Brunnen.«
Herine lehnte sich zurück und wartete ab, ob sie es begriffen hätten. Dabei war alles so einfach. Sie musste Jhered für diese Vorschläge danken. Ein Mann, der das Leben der meisten Menschen unnötig kompliziert fand.
»Ihr glaubt, wir hätten selbst darauf kommen müssen«, sagte Ossacer.
Herine zog die Augenbrauen hoch.
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