Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die dunkle Armee

Titel: Die dunkle Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
Vom Netzwerk:
blind. Damals habe ich es nicht verstanden, aber jetzt denke ich, dass er vielleicht sogar recht hatte.«
    Arducius schloss energisch hinter sich die Tür und prallte beinahe gegen einen Mann, der direkt vor dem Klassenzimmer wartete.
    »Entschuldigung.« Er wich aus und schaute dann erst zu ihm auf.
    Der Mann hatte ein vor den Jahren gealtertes Gesicht. Freundlich, aber gebrochen. Er war siebzig, sah aber aus wie hundert. Das dichte dunkle Haar war dünnen weißen Strähnen gewichen. Die einst braunen, alles durchdringenden Augen waren eingesunken und blutunterlaufen. Der Schlaf war diesem Mann offenbar ein unzuverlässiger Freund. Er ging ein wenig gebeugt, und seinen Körper hatte die Kraft verlassen. Viele erkannten ihn nicht mehr, aber die Grundzüge der Aura veränderten sich nie. Keine Verkleidung der Welt konnte einen Aufgestiegenen täuschen.
    »Hallo, Arducius.«
    »Mein Marschall.« Arducius schlug die rechte Faust an seine Brust. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«
    »Hör auf mit dem Unfug, Ardu«, sagte Arvan Vasselis. »Es ist lange her, dass ich das letzte Mal von dir verlangt habe, mich als Marschall anzureden.«
    Arducius lud ihn mit einer Geste ins Empfangszimmer im rückwärtigen Teil des Kanzleramtes ein. »Darf ich dir etwas Wein und Essen anbieten? Gestern Abend haben sie ein Schwein gebraten, und die Koteletts sind hervorragend.«
    »Gleich vielleicht.« Vasselis’ Stimme hatte ihre Kraft verloren, doch er besaß immer noch die Ausstrahlung eines Herrschers, der sich jede Unterbrechung verbat. Er nickte in Richtung des Klassenzimmers. »Hat er das ernst gemeint?«
    »Demnach hast du unsere … Unterhaltung gehört. Hast du alles mitbekommen?«
    »Meine Karriere beruhte darauf, dass ich vieles gehört habe. Nun?«
    Arducius führte ihn ein wenig weiter den Gang hinunter.
    »Natürlich meint er es ernst, Arvan. Du kennst doch Ossacer. Er kann vor Prinzipien und moralischen Leitsätzen kaum atmen. Er wird nicht davon abrücken, und das wird uns Schwierigkeiten bereiten. Im Grund kann ich nur versuchen, ihn so gut wie möglich vor Herine abzuschirmen.«
    »Ich verstehe.« Vasselis machte eine sehr ernste, traurige Miene.
    »Ein Aufgestiegener sollte es eigentlich besser wissen. Entschuldige mich einen Moment.«
    Vasselis kehrte zum Klassenzimmer zurück und öffnete die Tür. Ein Stuhl scharrte über den Boden, dann hörte Arducius, wie Ossacer das Wort ergriff. Vasselis blieb in der Tür stehen und hob eine Hand.
    »Mein Sohn hat ein Opfer erbracht, das niemand von ihm verlangen durfte, und damit geholfen, die Konkordanz zu retten. Niemand bittet dich zu sterben, Ossacer. Du sollst nur jene ehren, die schon gefallen sind.«
    Vasselis schloss die Tür.
    »Wein und Schweinefleisch. Das klingt gut, Arducius. Führe mich.«
    Eine einsame Träne rollte über seine Wange.

 
21

    859. Zyklus Gottes,
    30. Tag des Genasauf
     
    I ch will mich nicht davon überwältigen lassen, aber es wird mit jedem Tag schwerer und nicht leichter. Erklären kann ich es nicht.«
    Vasselis’ Hand zitterte leicht, als er den Weinkelch hob. Arducius hatte ein gemütliches Zimmer für sie ausgesucht. Nur zwei Liegen und ein Tisch in einem Raum voller Bücher.
    Das einzige Fenster war wegen der nachmittäglichen Kälte geschlossen.
    »Jedenfalls waren deine Worte gut gewählt und gut gesprochen. Ossacer ist manchmal etwas engstirnig. Vielleicht hast du ihn zum Nachdenken gebracht.«
    »Dann war es die Mühe meiner Reise wert.«
    »Wie geht es Netta?«
    Vasselis ließ den Kopf hängen. »Kovan war unser Leben, die Zukunft unserer Familie. Als klar war, dass Netta und ich keine Kinder mehr bekommen würden, war er unendlich wertvoll für uns. Aber man kann sich einem jungen Mann nicht in den Weg stellen. Als ich ihn an jenem Tag in Westfallen mit euch auf die Reise schickte, hätte ich aber nie gedacht, dass ich ihn nicht wieder sehen würde. Netta nimmt es sogar noch schwerer. Das Herz unseres Hauses schlägt nicht mehr, und sie schleppt sich irgendwie durchs Leben. Ich bin nur noch da, weil ich nicht will, dass jemand anders über mein Volk herrscht.«
    »Gott segnet uns, solange dies noch so ist.«
    »Da würde dir aber manch einer widersprechen.« Vasselis zog die Augenbrauen hoch.
    Arducius schniefte verächtlich. »Lass mich raten – reden wir jetzt vielleicht über den Orden?«
    »Über wen sonst? An der Oberfläche geht es darum, dass ein Marschall einen Nachfolger braucht, und dass die ethischen Vorstellungen

Weitere Kostenlose Bücher