Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Auseinandersetzungen mit der Polizei zu beklagen, und jeder von uns schwor sich, nie wieder SPD zu wählen, denn es war der SPD-Genosse Polizeipräsident Zörgiebel, der durch sein Demonstrationsverbot für dieses Massaker verantwortlich zeichnete. Ich presste die Kinder an mich und war nur froh, dass ihnen nichts passiert war.
»Blutmai!«, sagte Klara wütend und auf Revanche sinnend, »an diesen Blutmai werden wir bei den nächsten Wahlen denken. Da wird er sich umsehen, der Genosse, wenn ihm plötzlich die Arbeiterstimmen abhandenkommen!« Ich nickte und hielt Conrad ein Stück Verbandsstoff unter die blutende Nase.
Der Rest des Jahres war bestimmt von Notverordnungen und Neuwahlen im September, bei denen die NSDAP zweitstärkste Fraktion im Reichstag wurde. Wir waren fassungslos, die Berliner Presse überbot sich gegenseitig mit Hiobsschlagzeilen, die wirtschaftliche Lage wurde immer desolater und Deutschland erlebte eine Hungerweihnacht.
Wir fuhren zu Heiligabend mit den Kindern, Klara und Friedrich nach Blankensee, aber es ging uns nicht besser als der übrigen Bevölkerung, und es tat mir in der Seele weh, die Kinder so kurzhalten zu müssen. Am Tag nach Weihnachten kam dann Tante Gertrud mit Wilhelm, Brünhilde und Alfred, und es war plötzlich alles im Überfluss da. Stollen und Weihnachtsgebäck, Pasteten und Geräuchertes und sogar eine bereits gebratene Gans. Conrad und dieKinder genossen, und Klara und ich ärgerten uns, wie korrumpierbar ein bisschen Luxus machte.
Im Januar hockte ich im Gewerkschaftsbüro über der Arbeitslosenstatistik und konnte es nicht glauben: fünf Millionen Arbeitslose!
»Sie werden den Nazis zulaufen«, sagte ich erschüttert zu Klara, die aber meinte in ihrem üblichen Optimismus: »Die Schlacht ist noch nicht verloren.«
»Schau doch aus dem Fenster«, erwiderte ich aber nur, stand auf und blickte hinaus in die Nacht. Wo ein Fackelzug von Braunhemden vor dem Gewerkschaftshaus provozierend »Mahnwache« hielt.
Der Mond befand sich in seinem ersten Drittel und ich dachte seufzend daran, wie ich noch vor wenigen Tagen mit Conrad alleine nach Blankensee gefahren war, ihm die schweren eisernen Ketten um Hand- und Fußgelenke gelegt hatte, den Metallreifen um seinen Hals geschlossen und, neben ihm in seiner Zelle hockend, seine Verwandlung miterlebt hatte.
»Du sollst das nicht tun«, hatte Conrad zunächst abgelehnt, »es ist entsetzlich, und es reicht, wenn ich mich damit herumquälen muss. Du brauchst nicht auch noch darunter leiden.« Aber ich wollte bei ihm sein. Ich ertrug es einfach nicht mehr, oben im Haus zu sitzen, es mir gemütlich zu machen und zu wissen, dass er unten im Gewölbe in schrecklicher Einsamkeit Unerträgliches erleiden musste.
»Bitte, Conrad«, flehte ich ihn daher an, »wenn du mich liebst, lass mich bei dir sein.« Er küsste mich dankbar, und obwohl er mich lieber woanders gesehen hätte, gestattete er mir, bei ihm zu bleiben. Mit zitternden Fingern injizierte er sich das Morphium und ergab sich in sein grauenvolles Geschick.»Woran denkst du?«, fragte Klara in meine Gedanken hinein. Ich kehrte nur langsam wieder zurück in die Gegenwart. »Ich habe an Conrad gedacht. Er hat es nicht leicht … ich würde ihm so gerne helfen …«
Klara nickte. Und unausgesprochen stand die Frage im Raum, wie lange Conrad diese doppelte Existenz überleben würde, denn jede Verwandlung kostete ihn Lebenskraft, und anders als wir Vampire konnte er sie nicht durch eine Blutmahlzeit zurückgewinnen. Er alterte mit jeder Verwandlung. Außerdem machte mir sein ständig wachsender Morphiumbedarf Sorge, denn ich glaubte eine schleichende Veränderung an ihm festzustellen. Er wirkte oft sprunghaft, rauchte viel mehr als früher, und häufig befiel seine Hände ein unwillkürliches Zittern, das er vor mir zu verbergen trachtete.
»Können wir ihn nicht zum Vampir machen?«, fragte Klara, die offenbar Ähnliches dachte wie ich. Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, das geht nicht … Ich habe auch schon daran gedacht … aber es ist nicht möglich … irgendwann werde ich ihn verlieren …«
Es war ein garstiger Gedanke.
Das einzige ermutigende Ereignis war eigentlich nur die Kundgebung der Eisernen Front gegen den Faschismus im Sportpalast, an der ich mit Klara, Friedrich und Conrad teilgenommen hatte. Von wegen, wir hätten den Faschisten nichts entgegenzusetzen! Es war ein berauschendes Erlebnis breiter Solidarität, und als wir uns spät in der Nacht auf den
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