Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
NSDAP wurde mit zweihundertdreißig Abgeordneten tatsächlich die stärkste Fraktion im Reichstag. Wir und alle unsere Freunde waren erschüttert, nur Hansmann triumphierte, hatte er doch endlich mal wieder auf das richtige Pferd gesetzt.
Natürlich ließ er es sich nicht nehmen, für seine Parteigenossen ein rauschendes Fest zur Feier des Wahlsieges zu veranstalten, und weil Friedrich es wegen meiner Entmündigungssachefür taktisch klug hielt, sich dort wenigstens kurz zu zeigen, ging ich widerwillig mit ihm hin. Da mich einige von Hansmanns Gästen wohl schon einmal bei einem Auftritt gesehen hatten, wurde ich zu fortgeschrittener Stunde, als die Stimmung aufgrund des ebenfalls fortgeschrittenen Alkoholkonsums zunehmend auflockerte, gebeten, doch ein paar Couplets zum Besten zu geben. Ich lehnte mehrmals ab, weil mir der Rahmen für meine Lieder nicht so ganz passend schien, aber schließlich drängte mich auch Hansmann, der sichtlich stolz war, dass man seine Nichte so hofierte. Friedrich riet mir ebenfalls zu und meinte: »Für diese Herrschaften hast du doch ganz sicher etwas auf Lager.«
Ich sah ihn fragend an, woraufhin er mir verschwörerisch zuzwinkerte.
Also trat ich zur Salonkapelle und besprach mich mit ihnen, erntete Kopfschütteln und schließlich schulterzuckende Zustimmung.
»So etwas verlangt man in den Kreisen, wo wir spielen, eher selten«, sagte der Chef der Truppe, und so einigten wir uns darauf, dass sie uns das Klavier überließen und Friedrich mich darauf begleitete, wie er es auch im Kabarett gelegentlich getan hatte.
Ich stieg auf das kleine Orchesterpodest, trat an das Mikrofon und Friedrich griff in die Tasten.
Im Saal herrschte zunächst gebanntes Schweigen.
Doch schon bald machte sich Unruhe bemerkbar.
Ich hatte mich für ein paar Songs aus der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny entschieden, die ich schon mit großem Erfolg bei den Gewerkschaftsfrauen vorgetragen hatte, fand aber bei diesem Publikum nicht die richtige Zustimmung.
Als ich sang Ihr Herren bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein! …, fühlten sich offenbar einige der Anwesenden persönlich angegriffen. Auch Hansmann, denn noch während des Songs stürmte er auf die Bühne, riss mir das Mikrofon vom Munde und setzte an, sich bei seinen Gästen zu entschuldigen.
Nicht mit mir, mein Lieber, dachte ich, eroberte das Mikrofon zurück und sang weiter. Dabei mussten den anwesenden Industrie- und Bankbossen die Worte förmlich in den Ohren klingeln, denn sie waren es doch, die Brecht meinte. Sie waren es, welche die Menschen peinigten, bis auf die Knochen auszogen, ihnen das Leben abwürgten und sie mit Leib und Seele fraßen! Jeden Tag, stündlich, jede Minute ausbeuteten, bis ihre Lebenskraft aufgezehrt war.
Ich gab alles, und als Hansmann mir den Strom für das Mikrofon abdrehte, eben auch ohne technische Unterstützung. Und als ich in ihre wohlgenährten Gesichter sah, die von keinem Skrupel sondern nur von Unmut zeugten, da fragte ich mich wirklich, wie diese Menschen so gründlich vergessen konnten, was Menschsein und Menschlichkeit war!
Der Tumult übertönte nun bei Weitem meinen Gesang und Hansmann rief mit sich überschlagender Stimme:
»Ein Irrtum, bitte beruhigen Sie sich, es, es ist nur ein Irrtum, meine, äh, Nichte hat sich nur bei der Auswahl vertan …«
»Was soll das«, zischte ich ihn an. »Warum entschuldigst du dich bei diesen Kulturbanausen? Brecht und Weill haben einen rauschende Erfolg in Leipzig bei der Uraufführung gefeiert …« Und einen Skandal provoziert, dachte ich, wie man sah, waren die Songs dazu immer noch gut.
Da Hansmann weder wusste, wer Brecht war, noch Kurt Weill kannte, knurrte er nur zurück: »Diese Leute sind garantiertJuden, hier will niemand Judenlieder hören! Sing was anderes! Und vor allem nichts Politisches!« Und zu seinen Gästen meinte er erklärend über das nun wieder funktionierende Mikrofon: »Das war wirklich nur ein kleines Versehen, meine Nichte hat natürlich ein breites Repertoire und wird jetzt etwas Angemessenes singen. Bitte beruhigen Sie sich doch!«
Ich ging zu Friedrich, und weil er die Nase voll hatte, bat ich die Kapelle, mich nun zu begleiten, was ihnen diesmal nicht schwerfiel, denn das Lied Veronika, der Lenz ist da von den Comedian Harmonists, welches ich, um mir einen Jux zu machen, ausgewählt hatte, gehörte selbstverständlich zu ihrem Repertoire. Es wurde in Berlin so häufig gesungen und sogar
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