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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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im Radio gespielt, dass es schon die Spatzen von den Dächern pfiffen. Es war vollkommen unpolitisch, für einen verklemmten Jungnazi wohl dennoch zu frivol. Die Stimmung schien sich zu beruhigen, als jemand plötzlich in den Saal brüllte: »Kennt die Judenschickse eigentlich keine deutschen Lieder?«
    Schlagartig hörte die Kapelle auf zu spielen und im Foyer herrschte beklemmende Stille. Gertrud schien einer Ohnmacht nahe und Hansmann stand wohl kurz vor einem Schlaganfall, jedenfalls war er hochrot im Gesicht.
    Um die Situation zu retten, gab ich mir einen Ruck und mich selbst verleugnend beschloss ich nur für Hansmann zum versöhnlichen Abschluss meines Auftritts ein deutsches Volkslied zu singen und mich dann von der Veranstaltung abzusetzen: »Schwesterlein, Schwesterlein … wann geh’n wir nach Haus? Morgens, wenn die Hähne kräh’n, woll ’n wir nach Hause geh’n … Brüderlein, es wird fein unterm Rasen sein …«
    Friedrich kam auf die Bühne, ergriff meine Hand undzog mich fort zum Hinterausgang der Villa und in den Garten.
    Aus dem Saal schallte uns deftig aus Männerkehlen »Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! SA marschiert …« hinterher.
    »Amanda«, keuchte Friedrich halb lachend, halb weinend, »bist du denn wahnsinnig? Diese Leute werden bald die neuen Machthaber in Deutschland sein. Wie kannst du sie so kompromittieren? Hansmann und Gertrud werden uns zerreißen, wenn sie deinetwegen in Ungnade bei ihren Parteigenossen fallen!«
     
    Wir eilten zur Straße, wo aufgebrachte nationalsozialistische Prominenz und Führungskader aus dem Haupteingang des Bankgebäudes strömten und in die Automobile stiegen. Weil nirgends eine Mietdroschke zu sehen war, beschlossen wir, zu Fuß in die Brüderstraße zu gehen.
    An der Spree blieb Friedrich auf der Brücke stehen und schaute eine Weile ins Wasser.
    »Weißt du, dass ich mir hier das Leben nehmen wollte, weil ich deine Mutter nicht lieben durfte? Es war unser Lied, das du eben gesungen hast …« Und leise sang er: »Schwesterlein, es wird fein … unterm Rasen sein …«
    Ich legte meinen Arm um ihn und eine Weile standen wir einfach so da und schauten in das schwarze Wasser.
    »Sie hat dich geliebt Friedrich, wie man einen Bruder nur lieben kann.«
    Als wir weitergingen, befürchteten wir beide, dass dieser Abend ein Nachspiel haben würde.
     
    Erst einmal schien sich jedoch alles wieder zu beruhigen. Ich entschuldigte mich bei Gertrud, und Hansmann hatteoffensichtlich mit einer ansehnlichen Parteispende Wiedergutmachung geleistet. Dennoch war er so verärgert, dass er mir mitteilen ließ, er wünsche vorerst keinen Kontakt mehr. Da mir das sehr entgegenkam, fand ich es nicht tragisch, aber Friedrich kehrte wenige Tage nach dem Vorfall vom Amt zurück und teilte mir mit, dass meine Entmündigungssache mangels Eilbedürftigkeit vorerst zurückgestellt worden sei.
    »Dieses fiese Ekel!«, rutschte es mir heraus, und Friedrich, der natürlich sofort wusste, dass ich Hansmann damit meinte, nickte zustimmend.
    »Ich denke, wir werden uns in Geduld üben müssen. In dieser Situation Druck zu machen, könnte nach hinten losgehen und uns noch mehr Probleme schaffen, als wir schon haben. Hansmann scheint wirklich über gute Beziehungen zu verfügen.«
    Die hatte er wohl tatsächlich und sie wurden offenbar immer besser, weil ihm die politische Entwicklung in Deutschland förmlich in die Hände spielte.
     
    D
ie Stadt verwandelte sich zunehmend in eine Aufmarschbühne für Hitlers Gefolgsleute … Überall sah man Hakenkreuzsymbole, Fahnen, Standarten und Fackeln, wenn sie in Reih und Glied durch die Straßen marschierten.
    »Wie können sie so erfolgreich sein?«, fragte ich Conrad, der in der Hitlerbewegung ein Massenphänomen sah und es natürlich zu analysieren versuchte.
    »Das ganze Brimborium drum herum dient nur der Identitätsstiftung. Wir sind alle gleich, gehören alle zu einem Volk, rotten uns alle unter dem gleichen Symbol, der gleichen Fahne zusammen und dienen alle nur einem Führer. Und der wiederum dient niemand anderem als dem Volk.«
    Ich starrte Conrad fragend an. »Glaubst du das?«
    »Ob ich das glaube, tut nichts zur Sache. Ob die Deutschen es glauben werden, ist die Frage. Ihre Beantwortung wird die Zukunft der Republik entscheiden. Es geht um Demokratie oder Führerstaat.«
    Wir standen am Abend vor einem Zeitungskiosk am Ku’damm und lasen die Schlagzeilen der ausgehängten Blätter. Der sozialdemokratische Vorwärts

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