Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Heimweg machten und uns ein paar freche Nazis über den Weg liefen, machten wir mit ihnen kurzen Prozess, schlürften sie aus und entsorgten sie im Landwehrkanal.
»Ich weiß nicht«, sagte ich zu Conrad, »seit ich meine Ernährung auf Braunhemden umgestellt habe, empfinde ich gar keine Skrupel mehr, meinst du, ich bin zu triebgesteuert? Sollte ich meinem Über-Ich mehr Raum geben?«
Er lachte. »Deine Sorgen möchte ich haben!«
Ein knappes halbes Jahr später war ich abends bei Gertrud zu Gast, um Lysander abzuholen. Seit beide auf die gleiche Schule gingen, spielte er immer häufiger mit Alfred, was mir nicht recht gefiel. Aber da Brünhilde Alfred mit dem Auto von der Schule abholen ließ und Lysander fast jedes Mal bettelte, mit Alfred mitfahren zu dürfen, hatte ich der neuerdings aufkeimenden Freundschaft nichts entgegenzusetzen. Leider schleppte Alfred Lysander dann auch noch zu den Heimnachmittagen des nationalsozialistischen Jungvolks mit, bei denen es offenbar immer sehr aufregend zuging. Jedenfalls kam Lysander mehrmals völlig erregt nach Hause und wollte unbedingt mit Alfred wieder dorthin gehen. Ich unterschätzte die Beeinflussung und ließ ihn zunächst gewähren. Was konnte einmal in der Woche schon groß passieren? Es waren doch Kinder.
Als ich also am Spätnachmittag im Dunkeln bei der Villa ankam, um ihn abzuholen, wunderte ich mich über die große Menschenmenge, die sich auf der Freitreppe vor dem Eingang zur Bank drängelte. Aber da dieser Anblick in den letzten Wochen nicht gerade ungewöhnlich war, dachte ich mir zunächst nichts dabei. Doch als ich dann bei Tante Gertrud im Salon saß und auf Lysander wartete, da drang bald tumultartiger Lärm zu uns herauf, und mehrere Mannschaftswagen der Polizei fuhren unten vor und Schupos versuchten mit Knüppeln die Menge auseinanderzutreiben.
»Was, was machen die denn da?«, fragte ich Gertruderschüttert. »Warum lässt Hansmann die Leute denn so brutal vertreiben?«
»Die Bank ist geschlossen. Hast du nicht gelesen, dass nun auch noch die Danatbank und die Dresdner Bank zusammengebrochen sind? Alles nur, weil die Leute kein Vertrauen mehr haben und ihre Konten auflösen. Wenn Hansmann gestatten würde, dass alle Kunden ihre Gelder abheben, wären wir ebenfalls bankrott.«
»Wieso das denn?«
Nun brach aus Gertrud die Hamburger Reederstochter mit dem untrüglichen Instinkt für Finanzgeschäfte hervor.
»Weil Hansmann mit den Kundengeldern arbeitet. Er legt sie gewinnbringend an, damit sich das Geld vermehrt. Sonst könnte er ja schließlich auch keine Zinsen zahlen. Das heißt aber auch, dass keine Bank so viel Bargeld hat, dass sie allen ihren Kunden auf einen Schlag ihre Einlagen auszahlen könnte. Was natürlich auch völliger Unfug ist. Darum hat Hansmann vorsorglich die Schalter geschlossen. Er wird nicht den gleichen Fehler wie andere Banken machen.«
»Und das kann er durchhalten? Was ist, wenn die Polizei abrückt, werden die Leute nicht die Bank stürmen?«
Tante Gertrud sah auf ihre Teetasse, in der sie angelegentlich herumrührte. »Wir werden durchhalten. Spätestens nach der nächsten Wahl werden wir wieder stabile Verhältnisse haben.«
»Ihr setzt auf die Nationalsozialisten?«
Gertrud trank ihren Tee und sah mich dann siegesgewiss an. »Das solltest du auch tun! Nimm dir ein Beispiel an deinem Sohn, er geht den richtigen Weg.«
»Du gehst nicht mehr zu diesen Pimpfen«, sagte ich zu Lysander, als wir gemeinsam die Villa verließen, um mitder Elektrischen in die Brüderstraße zu fahren, während immer noch Menschen vor Utz’ Bankhaus niedergeknüppelt wurden.
»Gehe ich doch!«
»Gehst du nicht, weil ich es dir nämlich verbiete.«
»Das kannst du mir nicht verbieten. Bald werden alle deutschen Kinder in das Jungvolk und die Hitlerjugend gehen und dem Führer und dem Volk dienen.«
»Wer sagt das?«
»Unser Jungscharführer. Heini heißt der. Er hat mir ein Buch gegeben.«
»Was für ein Buch?«
»Über den Dienst an Volk und Führer. Es heißt Hitlerjunge Quex . Ich will auch ein Hitlerjunge werden, wenn ich vierzehn bin.«
Ich brach die Debatte ab.
»Wir reden mit deinem Vater darüber und mit Klara und Friedrich.«
»Die sind Kommunisten«, sagte der Kleine, »auf die hört ein deutscher Junge nicht.«
Ich hätte vor Schreck über diese Äußerung fast das Auto gegen eine Laterne gesetzt.
D
ie Wahlen im Juli 1932 brachten dann den von uns be- fürchteten Erdrutschsieg der Hitlerpartei. Die
Weitere Kostenlose Bücher