Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Verwandtschaft nicht verderben.
Denen ging es ja schon über die Hutschnur, dass ich mit Kale Kalsen weiter Kabarett machte und wir zusammen auf Gewerkschaftsveranstaltungen auftraten.
Aber als Tante Gertrud auch daran herummäkeln wollte, wies ich sie brüsk ab.
»Ich rede euch auch nicht in euer Leben rein, denn wenn ich es täte, gäbe es genug zu kritisieren, von der unberechtigten Okkupation meines Vermögens will ich darum gar nicht erst anfangen …«
Sie brach das Gespräch wieselflink ab und hütete sich in Zukunft, an meinem beruflichen Engagement irgendeine Kritik zu äußern.
In den Arbeitervierteln hatte die Gewerkschaft viele Anhänger und so waren unsere Kabarettauftritte immer sehr beliebt. Bis ein gewisser Goebbels anfing, mit seinen faschistischen Rollkommandos in den Wedding einzufallen und auch unsere Veranstaltungen zu stören. Die Zeichen standen von da an auf Sturm, und zwei Monate später nahm ein Stoßtrupp der SA das Kabarett »Hinter dem Mond« mitten in einer Vorstellung buchstäblich auseinander. Ich wurde von der Bühne gezerrt und als »Kommunistenhure« beschimpft, und Kale Kalsen schlugen sie derart brutal zusammen, dass er monatelang im Krankenhaus liegen musste, damit seine inneren Verletzungen ausheilenkonnten. Fassungslos stand ich vor der zertrümmerten Inneneinrichtung des Kabaretts.
»Diese Schweine«, stammelte ich und war immer noch untröstlich, als Conrad längst seinen Arm um mich gelegt hatte. Dennoch glaubten wir damals noch, dass es sich bei den Nationalsozialisten um eine zwar militante, aber letztlich unbedeutende Splittergruppe handelte, die sehr bald wieder von der politischen Bühne verschwinden würde. Zumal auch der stellvertretende Berliner Polizeipräsident Bernhard Weiß hart durchgriff. Was nicht ausschließlich daran lag, dass er Jude war und die Rassenhetze der Nazis ihm natürlich übel aufstieß. Aber bald war klar, dass es um mehr ging als um ein paar Scharmützel rivalisierender Gruppierungen. Die Nazi-Kundgebung in den Pharussälen im Wedding Anfang 1927 war eine reine Provokation von diesem Goebbels und endete in einer regelrechten Straßenschlacht, bei der auch zahlreiche Gewerkschafter verletzt wurden. Selbst in den Abendstunden glich das Gewerkschaftsbüro immer noch einem Feldlazarett.
»Das ist eine offene Kriegserklärung«, schimpfte Klara wütend. »Der Wedding ist rot, da haben die Faschisten nichts verloren!« Sie drückte ein blutiges Leintuch in einer Wasserschüssel aus und tupfte anschließend weiter Blut von zerschlagenen Gewerkschaftergesichtern.
Bei der Wahl vom Mai 1928 wurden jedoch zu unserer großen Freude die Sozialdemokraten deutlich stärkste Fraktion im Reichstag, während die NSDAP praktisch keine Zugewinne machen konnte und mit kaum mehr als drei Prozent der Stimmen ein regelrechtes Debakel erlitt. Wir stießen im Gewerkschafsbüro darauf an und glaubten das Faschismusproblem in Deutschland ein für alle Mal los zu sein.
Was mich in dieser Zeit allerdings genauso ärgerte wie die freche Nazi-Agitation, war die Tatsache, dass in meiner Entmündigungssache immer noch kein Fortschritt zu verzeichnen war. So konnte ich auch in diesem Jahr immer noch keinen Gebrauch von meinem Wahlrecht machen, und Hansmann schien weniger denn je daran interessiert, mir meine bürgerlichen Rechte zurückzugeben. Conrads Vorstoß gleich nach der Eheschließung war jedenfalls in den Mühlen der Behörden stecken geblieben, und ich nahm an, dass Hansmann daran nicht ganz unbeteiligt war. Mein politisches Engagement war ihm eindeutig ein Dorn im Auge und auch Wilhelm meinte: »Kannst du dich denn da nicht ein wenig zurücknehmen? Gerade als Frau gehörst du zu deiner Familie und an den Herd und nicht auf die Straße. Sieh dir nur an, wie vorbildlich Brünhilde als Hausfrau und Mutter ist.«
Natürlich ließ mir seine Einmischung die Galle überlaufen.
»Das überlass mal mir! Sorg lieber dafür, dass euer neuer Gauleiter und seine braunen Horden ihre Provokationen unterlassen. Er hat mit seiner Hetzversammlung in den Pharussälen die Lunte angezündet und muss sich nun nicht wundern, wenn die Bombe hochgeht.«
Hansmann und seine Söhne sympathisierten schon früh mit den Nazis, und der Onkel schien sie finanziell großzügig zu unterstützen. Jedenfalls spazierte Gauleiter Goebbels schon bald in der Villa ein und aus. Niemand von uns ahnte damals, dass dieser hässliche kleine Mann mit der großen Klappe und dem schwülstigen Pathos
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