Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
einmal Propagandaminister und der größte Volksverhetzer des Reiches werden sollte.
In den bürgerlichen Stadteilen und Vergnügungsvierteln nahm derweil jeder nach dem Motto »Hoppla, wir leben noch« alles mit, was dieses Leben versüßen konnte, und vor allem Friedrich sah keinen Widerspruch darin, trotz seiner linken Gesinnung auch für sich ein ordentliches Stück vom Kuchen abzuschneiden.
Er ließ Klaras Einwände nicht gelten und meinte nur: »Was willst du, Liebste? Der Sozialismus ist auf dem besten Weg, bald haben wir Wohlstand für alle, und es gibt keinen Grund, dass ihr jede Nacht im Gewerkschaftsbüro hockt oder Leute agitiert, die längst auf eurer Seite sind.«
So erlebten wir 1928 ein recht friedliches Jahr, in dem uns Friedrich im Januar von Ball zu Ball schleppte. Im Sommer hatte Die Dreigroschenoper von Brecht und Weill umjubelte Premiere im Theater am Schiffbauerdamm und im Herbst verwandelte Berlin im Licht die Stadt in ein sprühendes Lichtermeer und wir standen mit den überwältigten Kindern an der von Feuerwerksfontänen umschlossenen Siegessäule. Kurt Weill dichtete sogar eigens einen Song zu dem Ereignis, den die populäre Trude Hesters sang.
Auch war es faszinierend für die Kinder und mich, an einem trüben Novembertag das riesige Luftschiff Graf Zeppelin über Berlin zu seinem Landeplatz in Spandau schweben zu sehen.
Kurzum, im bürgerlichen Berlin glaubte man wieder an die Zukunft und war zuversichtlich, ein neues Deutschland aufbauen zu können,
Die Intellektuellen aber blieben weitgehend skeptisch, und als ich bei einer Vernissage ein beeindruckendes Triptychon des Malers Otto Dix mit dem Titel Großstadt betrachtete, da schien mir das, was sich in Deutschland gerade abspielte, sehr dem Tanz auf einem Vulkan zu ähneln.Im Oktober des Jahres 1929 brach in Amerika die Börse zusammen und die gesamte Weltwirtschaft geriet ins Rutschen. Wir merkten es daran, dass die Zahl der Arbeitslosen ständig weiter anstieg, weshalb der Deutsche Gewerkschaftsbund immer mehr Menschen unterstützen musste und dennoch das Elend der Arbeiter nicht mindern konnte. Die Gewerkschaftsfrauen hatten Suppenküchen organisiert, vor denen die Menschen bald Schlange standen.
»Das kann doch so nicht wieder losgehen«, stöhnte Klara und schrubbte in der Nacht mit mir die riesigen Töpfe. »Bald ist die Gewerkschaftskasse leer. Wovon sollen wir dann Suppe kochen?« Aber es wurde nicht besser.
Anfang der Dreißigerjahre setzte die durch Reparationszahlungen nach wie vor notorisch klamme Regierung kurzerhand das Alter für den Bezug von Arbeitslosenunterstützung von sechzehn auf einundzwanzig Jahre herauf.
Wir konnten es nicht fassen.
»Und wovon sollen die jungen Leute jetzt leben?«, fragte ich erbost. Schließlich verließen die meisten mit vierzehn Jahren die Schule und standen ohne Beschäftigung auf der Straße. »Ohne Unterstützung gehen die doch vor die Hunde!«
»Oder zu den Nazis«, sagte Klara, womit sie leider recht hatte. Als die lautstarken und gewalttätigen Proteste der jungen Leute bei der Regierung nichts bewirkten, liefen sie in Scharen zu den Braunhemden über, ließen sich in Uniform stecken und als Hitlerjungen auf den Parteiführer der NSDAP, Adolf Hitler, einschwören. Bald patrouillierten sie durch die Straßen Berlins, machten sich wichtig und jagten Bolschewiken, um, wie man es ihnen eingetrichtert hatte, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Wir mussten tatenlos zusehen, wie aus reiner wirtschaftlicher Notauch viele Söhne von Gewerkschaftern mit ihren Vätern brachen und in ihren Reihen mitmarschierten.
Zwar gab Rudolf, einer unserer führenden Genossen, seinem Sohn vor versammelter Mannschaft eine schallende Ohrfeige, als der in der braunen Kluft mit Koppel und Käppi im Gewerkschaftshaus auftauchte, aber erreicht hatte er damit nur, dass sein Sohn von zu Hause auszog und ein noch glühenderer Verfechter der Nazi-Parolen wurde.
Ein politisch-kulturelles Ereignis war die Inszenierung der Piscatorbühne zum Paragraphen 218, die ich natürlich zusammen mit Klara und den Gewerkschaftsfrauen besuchte und in deren Umfeld sich trefflich agitieren ließ. Aber auch hier machten uns gezielte Nazi-Störtrupps das Leben schwer. Sie verteilten den Angriff , die seit drei Jahren von Goebbels herausgegebene faschistische Hetzzeitung, und forderten mit Spruchbändern die Absetzung des Stückes. Es fehlte nicht viel und ich hätte mich vor aller Augen ihrem Rädelsführer an den
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