Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
zu können, wohl doch noch nicht ganz aufgegeben, denn er druckste ein wenig herum und meinte: »… aber wenn sie tot sind, die beiden Kameraden, dann gibt es dochkeine Zeugen … außer Onkel Friedrich … und wenn ich in den Vollmondnächten vorsichtig bin …«
Die Illusion musste ich ihm leider nehmen.
»Vorsicht allein wird nicht reichen. Es ist eine kaum zu bändigende Urgewalt, die aus einem Menschen herausbricht, der einen Werwolf in sich trägt. Man muss Vorkehrungen treffen. Du wirst beim nächsten Vollmond erleben, wie dein Vater sich vorbereitet, und auch dich werden wir zu deiner eigenen Sicherheit in eine Zelle bringen müssen. Vorher kannst du auf keinen Fall wieder nach Berlin. Niemand dort kann dich vor dir selber schützen, wenn es denn tatsächlich zu einer erneuten Verwandlung kommen sollte.«
So entschied sich Lysander völlig am Boden zerstört dafür, vorerst auf Blankensee zu bleiben.
Um ihn ein wenig zu trösten, sagte ich: »Es sollte etwas Gras über die Sache wachsen, ich werde Hansmann das Weihnachtsfest als Grund nennen. Zumindest Gertrud wird verstehen, dass du es bei deiner Familie verbringen willst. Sorge dich nicht, für später fällt uns schon etwas ein … wir können dich gut auf dem Gut gebrauchen …«
Die Hitlerjugend erwähnte ich nicht, denn ich war froh, dass wir zumindest dieses Problem nun los waren.
Natürlich musste Lysander nun seine Kinderträume begraben, und das war nicht eben leicht. Aber sowohl die Reichskristallnacht als auch der Übergriff der Hitlerjungen auf Sarah hatten ihm ein paar Illusionen über seine neuen Freunde geraubt und in ihm erste Zweifel an den hehren Parolen der Nazis gesät.
Als ich in einer mütterlichen Anwandlung seine Hand ergriff, da entzog er sie mir nicht, sondern sagte nur leise: »Kann Aaron mich mal besuchen kommen?«Es war dann Friedrich, der ihm sehr viel brutaler die Augen über die Menschenverachtung der Nazis und auch seines Onkels Hansmann öffnete. Außerdem war er der Ansicht, wir sollten Lysander nun auch darüber aufklären, dass wir Vampire waren. Schock und Ungläubigkeit standen ihm ins Gesicht geschrieben, aber Friedrich sagte wenig rücksichtsvoll:
»Du kannst getrost Abschied von diesen Leuten nehmen! Du hast nur wenig davon gesehen, was sie mit sogenannten Nichtariern machen, ich weiß von viel schlimmeren Dingen. Dir muss also klar sein, dass wir ebenfalls nicht arisch sind und darum von ihnen genauso verfolgt werden wie alle, die sie mit dem Makel der Fremdrassigkeit behaftet sehen. Sowenig wie Hansmann etwas für die Rosenbaums zu tun bereit ist, so wenig wird er uns helfen. Wir haben zu unserem Schutz nur das Geheime Gewölbe, und so ist es gut, wenn wir uns hier auf Blankensee in seiner Nähe aufhalten.«
Er sah Lysander sehr offen und gerade in die Augen.
»Du bist nun vierzehn Jahre und intelligent genug, um deinen eigenen Weg zu finden.«
Lysander schluckte, aber er fühlte sich auch geehrt, dass Friedrich ihn so ernst nahm und für reif genug hielt, die Dinge emotionslos zu besprechen.
So nickte er und stammelte ein leises »Danke, ich … äh … werde euch nicht enttäuschen.«
Das tat er nicht, denn als Conrad und Friedrich ihn in unsere Pläne bezüglich des Bankhauses einweihten, da war er bereit, das Blutgeld von Utz, mit dem Hansmann die Nazis unterstützte, einem besseren Zweck zuzuführen und sich an dem Überfall zu beteiligen.
»Ich kenne mich dort gut aus«, sagte er, und so schmiedetendie Männer noch Weihnachten den Plan, die Silvesternacht, in der jedermann durch das Feuerwerk abgelenkt sein würde, für den Einbruch auszunutzen.
Wir brauchten mittlerweile dringend Geld, und zwar nicht nur für das Gestüt. Seit Conrad nicht mehr in der Klinik arbeitete, kam er nur noch illegal und zu horrenden Preisen an Morphium, was seine kleine Erbschaft immer mehr aufzehrte. So konnten wir keine Zeit mehr verlieren. Zumal wir das Medikament nun auch für Lysander brauchen würden. Auch falsche Papiere für unsere Schleusertätigkeit mussten inzwischen sehr viel teurer bezahlt werden.
Am Abend des 31.Dezember 1938 fuhren wir also nach Berlin, um die Bank von Utz zu knacken. Ich vibrierte vor Aufregung und Freude darüber, ihm nun einen gewaltigen Schlag zu verpassen. Mein Hass auf ihn war nach dem, was er meiner Mutter und mir angetan hatte, ungebrochen und hatte durch Conrads grausames Schicksal, für das ich ihn ebenfalls verantwortlich machte, eher noch an Stärke zugenommen.
Klara
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