Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
distanziertem Interesse, wie es schwarz und zäh aus der kleinen Wunde quoll. Was in meinen Adern floss, war von ungesunder Konsistenz und Farbe, kein Vergleich mit dem hellen Blut des blonden Jungen und schon gar nicht mit dem kräftigen Rot von Riekes Lebenssaft.
Es war schrecklich und zutiefst bedauerlich, was ich Rieke angetan hatte. Doch stärker noch drückte mich in dieser Vollmondnacht die Begegnung mit dem Monster nieder, das mich damals besessen hatte. Denn ich wusste, dass es weiter in mir lebte und immer wieder nach Blut verlangen würde.
Als ich langsam zum Gutshaus zurückging, beschloss ich, Lenz etwas genauer über das Unterbewusstsein zu befragen. Vielleicht würde ich dadurch der Beantwortung der beiden Fragen näherkommen, die mich nach wie vor am meisten quälten: Woher kam diese unersättliche Blutgier und warum und wohin war meine Mutter verschwunden?
»Erzählen Sie etwas über das Unterbewusstsein«, bat ich Conrad Lenz also an diesem Abend. »Was meint Freud damit, dass dort ein Es existiert, das unser Verhalten steuert? Wie habe ich es mir vorzustellen? Triebhaft wie ein Tier?«
Lenz sah mich nachdenklich an, während er sich seine Pfeife stopfte. »Sie wollen wissen, ob Ihr animalischer Beißdrang dort seinen Ursprung hat, nehme ich an.«
»Nein … also, nicht direkt … ich möchte wissen, ob dieses, dieses Es … ob es eine eigene Existenz haben kann … die so stark werden kann, dass sie schließlich alles andere in einer Person … dominiert?«
Es war heraus und ich atmete erleichtert auf, was Lenz natürlich nicht entging. Er wirkte unbehaglich, ganz offensichtlich war ihm die Frage unangenehm, weil er sie natürlich gleich mit mir in Verbindung brachte. Er klopfte umständlich die Pfeife aus und legte sie auf den Couchtisch.
»Das wäre krankhaft«, sagte er schließlich. »Man nennt es Schizophrenie. Menschen mit dieser Erkrankung haben, wie der Volksmund sagt, zwei Seelen in ihrer Brust. Wir sprechen von einer gespaltenen Persönlichkeit, bei der mal die eine, mal die andere Seite die Oberhand erlangt, ohne dass der betroffene Mensch darüber noch die Kontrolle hat.«
»Und wie ist es bei einem Menschen, der sonst eigentlich geistig gesund ist? Was sagt Freud zu dem?«
»Nun, in der Regel wird das Es vom Bewusstsein kontrolliert. Das realistische Ich und die moralische Instanz des Über-Ichs halten das reine Triebgeschehen im Zaum. Menschliches Zusammenleben wäre sonst undenkbar.«
Das klang beruhigend, dennoch blieb eine Frage offen: »Aber wie geht das vor sich? Was tut man zum Beispiel, wenn einen ein starkes Verlangen überfällt, wenn sich das Es wie ein Tier gebärdet?«
Lenz sah mich forschend an. »Der gesunde Mensch lernt im Laufe seiner Entwicklung damit sozialverträglich umzugehen …«
Ich fiel ihm ins Wort. »Das kann nicht stimmen!«
»Doch«, meinte er jedoch entschieden.
»Keine Ausnahmen? Das kann nicht sein!«
Wieder wirkte er unangenehm berührt, als er zögernd ergänzte: »Nun ja, es sei denn, der Mensch ist krank und hat eine psychotische oder neurotische Störung … Nur so etwas oder eine falsche Erziehung, Krieg, Verbrechen, Lebensumstände,die den Menschen entmenschlichen, setzen dieses Prinzip außer Kraft.« Er lächelte. »Für solche Fälle bin ich dann da.«
Und weil er sich so offensichtlich als Helfer anbot, verließ ich zum ersten Mal meine mir selbst auferlegte Deckung und sprach offen an, was mich seit meiner Kindheit bedrückte:
»Dieses Es, wie ist es? Ist es wie ein Tier?«
»Ein Tier? Was für ein Tier meinen Sie genau, Amanda?«
»Ein wildes Tier … zum Beispiel … immer da und stets auf eine Gelegenheit lauernd …«
»Was für eine Gelegenheit?«
»Seinen Durst zu stillen … es … es ist immer durstig … es schreit vor Durst … es will trinken … immer trinken …«
»Will es Milch?«, fragte Lenz und mir war sofort klar, dass er an den Säugling dachte, der ich einmal gewesen war und dem die Muttermilch gefehlt hatte. Sollte das wirklich die Ursache sein für diese pervertierte Form des Durstes nach …
»Es will keine Milch! Es schreit nach …« Ich stockte, weil ich das Wort nicht über die Lippen brachte, doch Lenz ließ nun nicht mehr locker:
»Was will es, Amanda, wonach schreit es? Bitte, Sie müssen es sagen, wenn Sie es wissen …«
Und weil er so drängte, brach es schließlich doch aus mir heraus: »Blut! Es will Blut!«
Ich hatte es ausgesprochen, und im selben Moment fühlte ich, wie das
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