Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
bequemen Ohrensessel oder ausgestreckt auf dem weichen Bett, auf dem eine edle Tagesdecke im Jugendstildesign lag.
Großvater Vanderborg hatte mir erklärt, dass die ganze Wohnung, als er sie gekauft hatte, der damaligen Mode entsprechend, in diesem Stil eingerichtet worden war. Sein eigenes Herrenzimmer ebenso wie Salon und Speisezimmer. Bei meinen wenigen kurzen Aufenthalten war mir die Wohnung in der Brüderstraße immer wie ein Teil aus einem Märchen vorgekommen, und ich erwartete jederzeit, dass die elfengleichen Jungfrauen aus den floralen Ornamentenheraustreten oder auf dem Rücken eines Schwanes über den See des Wandgemäldes im Esszimmer davonsegeln würden. Die Wohnung hatte etwas Zauberhaftes, und nun, da ich hier wohnen durfte, genoss ich ihre Anmut und träumte mich fort aus der Tristesse meines bisherigen Daseins.
Lenz bemerkte meine Veränderung sofort. Als ich mich bei seinem ersten Besuch im Salon auf die Couch legte und die Augen schloss, begann er nicht gleich das analytische Gespräch, sondern schien mich eine Weile nur zu betrachten. Ich spürte seinen Blick geradezu körperlich auf mir ruhen, verkniff es mir aber, aus Neugier die Augen zu öffnen.
Schließlich sagte er leise: »Sie wirken heute so entspannt, Amanda, darf ich fragen, was Ihnen Gutes widerfahren ist, dass Sie so zufrieden in sich ruhen?«
Ich lächelte, ohne jedoch die Augen zu öffnen.
»Es ist diese Wohnung. Merken Sie nicht, welch wunderbare Atmosphäre sie ausstrahlt? Sie hat nichts Hartes. Das tut mir gut.«
»Weil es Ihnen erlaubt, auch einmal Ihre Härte abzulegen? Auch selber einmal weich zu sein. Ohne den Panzer, der Ihre Seele umgibt? Sie wirken, wenn ich das sagen darf, heute sehr viel weiblicher auf mich.«
Das ging zu weit! Ich öffnete die Augen und setzte mich auf.
»Herr Lenz«, tadelte ich ihn. »Sie sollen mich analysieren, nicht Komplimente machen.« Ich wollte nicht hoffen, dass mein Ausfall ihn nun ermutigte, persönlich zu werden.
Er wirkte ein wenig aus der Fassung, verteidigte sich aber sogleich: »Das war kein Kompliment, so etwas auszusprechen, würde ich einer Patientin gegenüber nie wagen. Das wäre höchst unprofessionell. Ich habe lediglich eineFeststellung getroffen, bezogen auf unsere Analyse, denn es stimmt mich hoffnungsfroh, Sie in letzter Zeit so viel offener zu erleben. Nicht mehr habe ich sagen wollen.«
Also wollte er die letzte Sitzung nicht vergessen, sondern die neue Intimität zwischen uns ausnutzen.
Ich musste lächeln, weil er sich dabei wie ein Aal wand. »Und was tut es dabei zur Sache, dass meine Seele heute offensichtlich so viel weiblicher ist?«
Nun schmunzelte auch er.
»Mehr, als Sie glauben, ich werde es Ihnen erklären, wenn wir etwas weiter sind.«
Feigling, dachte ich bei mir. Jetzt musste er garantiert erst einmal bei seinem Übervater Freud nachschlagen, wie er seinen triebhaften Ausrutscher wissenschaftlich verbrämt rechtfertigen konnte. Nun war mir auch klar, warum Großvater Vanderborg am Abend zuvor so eine Andeutung gemacht hatte, als wir auf Lenz zu sprechen kamen.
»Und du findest es nicht ein wenig seltsam, mein Kind, dass der Herr Dr. Lenz dir privat so viel Aufmerksamkeit schenkt?«
Ich hatte verwundert den Kopf geschüttelt. »Privat? Nein, nein, das tut er nicht privat. Er hält mich für einen interessanten Fall, und Professor Müller-Wagner hat ihn speziell damit betraut, an mir die neuen Methoden des Dr. Freud zu erproben. Ich denke eher, es ist ein Streit unter Wissenschaftlern, und natürlich möchte ich, dass Lenz ihn für sich entscheiden kann, denn er hat mir von unserer ersten Begegnung an nur Gutes getan.«
»Weil du ihn interessierst.«
»Als Fall.«
»Wenn du es sagst, wird es wohl so sein.«
Aber später, nachdem er seine Abendzigarre gerauchthatte, fragte er ganz beiläufig: »Für ein Mädchen wie dich wäre ein studierter Doktor gewiss eine gute Partie, hast du darüber schon einmal nachgedacht? Du bist siebzehn …«
Ich musste ihn wohl ziemlich entgeistert angestarrt haben, denn er hüstelte und meinte dann: »… aber wohl möglich etwas zurück in deiner Entwicklung, vielleicht durch den Aufenthalt in der Anstalt, vergiss, was ich gesagt habe.«
Das hätte ich gerne getan, doch nun, nach den Worten von Lenz, fiel mir das nicht eben leicht. Ich hatte ihn nie als Mann wahrgenommen, immer nur als meinen Arzt, und ich wollte, dass es so bliebe. Alles andere wäre mir, gerade nach der letzten desaströsen Sitzung,
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