Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
entschuldigen. Da der Großvater nicht darüber sprechen mochte und auch nicht dabei gewesen war, als es geschah, wusste ich zwar noch immer nicht, wie es dazu gekommen war, aber ich wollte sie zumindest dafür um Verzeihung bitten. Lenz unterstützte dieses Vorhaben sofort, denn er versprach sich davon genaueren Aufschluss über die Geschehnisse, die mich vor drei Jahren ins Irrenhaus gebracht hatten.
Wir fanden Rieke jedoch nicht mehr bei ihrer Mutter im Dorf vor. Man ließ uns weder in die Stube noch gab man uns Auskunft, wohin sie verzogen war. An der Tür fertigte ihre Mutter uns ab, murmelte unfreundlich, dass Rieke geheiratet habe und gewiss niemanden weniger gerne als mich zu sehen wünsche. »Lassen Sie meine Tochter in Ruhe, was mit Geld gutzumachen war, hat Ihr Onkel geregelt. Sie würden unnötig alles wieder aufwühlen, und warum? Nur damit Sie Ihnen verzeiht, was man nicht verzeihen kann? Gehen Sie, gehen Sie fort. Von uns werden sie keine Absolution für Ihr Verbrechen erhalten.«
Sie schlug uns die Tür ins Gesicht und bedrückt kehrten wir zurück zum Gut.
»Sie haben es versucht, Amanda«, sagte Lenz tröstend. »Es ist nicht Ihre Schuld, wenn die ausgestreckte Hand zur Versöhnung nicht ergriffen wird.«
Aber darin konnte ich ihm nicht zustimmen. Zu sehr hatte ich die Verbitterung von Riekes Mutter gespürt, die nicht nur das seelische Leid beklagte, welches ich ihrer Tochter zugefügt hatte, sondern auch die Tatsache, dass mein Onkel mich mit offensichtlich viel Geld von der Strafverfolgung losgekauft hatte. Obwohl sie sich dafür schämte, hatte sie es aus wirtschaftlicher Not genommen, und schon allein deswegen musste sie mich doppelt hassen.
Das Erlebnis hatte mich so aufgewühlt, dass ich an diesem Tag überhaupt nicht mehr zur Ruhe kam. So setzte ich mich in die Bibliothek und las in einem Gedichtband ein Gedicht von einem gewissen Jakob Michael Reinhold Lenz aus dem 18. Jahrhundert …
Und du verstehst es wohl, wo mirs am wehsten thut.
Du haßest meine Ruh, es scheint dich freut mein Leiden,
Du wünschst es größer noch, es scheint du willst mein Blut.
So nimm es göttliche! ein kleines Federmesser
Eröfnet mir die Brust, wie sanft würd es mir thun?
Ach thus, durchbor mein Herz, gewiß dann wird mir besser …
Da dachte ich dann sehr schmerzlich an meinen Conrad Lenz, und wieder griff dieses süchtige, distanzlose Verlangen nach mir, das mir innigste Wonnen mit seinem Blut versprach, und noch nie war mir so deutlich, wie sehr das Tier in mir gerade ihn begehrte.
Die Vorhänge waren geöffnet, denn ich liebte die Dunkelheit vor den Fenstern. Gegen Mitternacht zog der Vollmond auf, und ich spürte den unwiderstehlichen Drang, an diesem letzten Tag auf Blankensee trotz der klirrenden Kälte noch einmal hinauszugehen und sein reines Licht auf der Haut zu spüren.
Meine Schritte lenkten mich in den Rosengarten. Er lag glitzernd da, ein paar Rosen, am Stock in der Knospe durch den Frost überrascht, wirkten vom Reif überzuckert wie Konditorpralinés.
Ich wusste nun wieder, dass es hier geschehen war, am Abend meines vierzehnten Geburtstages. Der Besuch bei Riekes Mutter hatte alles aus dem gnädigen Unbewussten erbarmungslos wieder in mein Bewusstsein gezerrt.
Rieke war nicht nur mein Mädchen, sondern auch eine echte Freundin. Sie war ein paar Jahre älter als ich und in den letzten Monaten zu einer wirklich anmutigen jungen Frau erblüht. Zur Feier meines Geburtstages hatte sie ein festliches Kleid gewählt, das ihr Dekolleté und den schlanken, weißenHals frei ließ. Eine dünne Kette mit einem silbernen Medaillon schmückte sie. Ob es von ihrem Liebsten war? Wenn ja, würde sie mir gewiss bald von ihm erzählen.
Die Feier war klein gehalten und wurde von dem plötzlichen Verschwinden meiner Mutter überschattet. Aber Tante Gertrud bestand darauf und meinte nur:
»Estelle wird gewiss zum Essen wieder auftauchen. Es geht nicht, dass Amanda auch noch unter ihrer Exzentrik leidet, der vierzehnte Geburtstag ist so wichtig für ein junges Mädchen. Sie wird nun auf eine Höhere Töchterschule gehen können, um sich auf ein gesittetes Leben als Hausfrau und Gattin eines angesehenen Mannes vorzubereiten.«
Und weil also mit meinem Geburtstag zugleich auch mein Abschied von Blankensee gefeiert werden sollte, führte kein Weg daran vorbei.
Zum festlichen Abendessen wurde Großvater Vanderborg erwartet, und insgeheim dachten wohl alle genau wie ich, dass meine
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