Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
ernähren konnte, tummelte sich eine selbst ernannte Spitze der Gesellschaft aus Politik, Wirtschaft und Kultur auf Bällen, Vernissagen, in Theatern und Filmpalästen und setzte dem sich andeutenden totalen Zusammenbruch einen arroganten Trotz entgegen.
Da der Großvater immer noch über Beziehungen aus seiner Zeit als Partner des Großen Pilati verfügte, kam ich hin und wieder in den Genuss, ihn zu einer dieser Veranstaltungen begleiten zu dürfen. Erst kürzlich hatte es einen Theaterball mit einer Ballettaufführung gegeben, die so opulent ausgestattet gewesen war, dass man von dem Geld vermutlich sämtliche streikende Arbeiter an der Ruhr eine volle Woche sehr anständig hätte ernähren können. Aber die einzige Ernährung, wozu diese Veranstaltung beigetragen hatte, war die meine gewesen, denn in der Theaterpause gelang es mir, einen sehr appetitlichen jungen Mann in den Park zu locken und in einer dunklen, überaus romantischen Ecke mit meinem vampirischen Blutkuss ins Jenseits zu befördern. Und wieder tat ich es mit vollem Bewusstsein und sogar mit Genuss, denn ich verspürte diesmal nicht die geringsten Skrupel, weil ich nämlich das Gefühl hatte, dass ich mich in Kreisen bewegte, deren Moral kein bisschen besser war als die meine. Lediglich ihre Art, den Menschen das Blut auszusaugen, war etwas dezenter.
Ich hatte bei diesem zynischen Gedanken wohl gelächelt, denn Lenz sagte, als er sich erhob, um sich zu verabschieden:
»Du siehst sehr wohl aus, Amanda. Ich wüsste zu gerne, woran es liegt, dass deine Gesundheit solch extremen Schwankungen unterworfen ist.«
Ich lachte und tat es leicht ab: »Es muss an den Bällen liegen, die bringen mich offenbar so richtig in Schwung!«
Lenz schmunzelte. »Dann solltest du das zu einem Sport machen. Darf ich mich vielleicht gelegentlich mal wieder als Sparringspartner anbieten?«
Er zwinkerte mir verschwörerisch zu, und mir wurde klar, dass er nichts, aber auch gar nichts von dem vergessen hatte, was in der Silvesternacht zwischen uns geschehen war. Ich sagte aber nur kess:
»Herr Lenz, ich fürchte, Sie verwechseln da etwas, ein Tanz ist kein Boxkampf.« Worauf er ziemlich frech antwortete: »Mit Ihnen schon, wertes Fräulein, oder wollen Sie abstreiten, dass es Ihnen weniger ums Tanzen als ums Führen geht?«
Und bevor ich antworten konnte, gab er lachend Fersengeld.
L
enz hatte mittlerweile eine Festanstellung an der Klinik erhalten und konnte sich darum ein eigenes kleines Automobil leisten. Da er auch am Samstag Urlaub bekommen hatte, fuhren wir bereits am Freitagabend, als die Dämmerung hereinbrach, nach Blankensee. Großvater Vanderborg wäre zwar gerne mitgekommen, hatte den Tag aber schon anderweitig verplant, was Lenz gar nicht so unlieb zu sein schien. Na, der hatte sich doch wohl nichts Amouröses vorgenommen? Das könnte ein wenig gefährlich werden … hauptsächlich natürlich für ihn!
Gegen Mitternacht erreichten wir Blankensee.
Conrad wollte schlafen gehen, aber ich fühlte mich gerade in der Dunkelheit besonders wohl, und so stellte ich ihn vor ein Ultimatum.
»Geh nur schlafen, ich jedenfalls will sofort nach dieserTür sehen. Entweder du kommst mit oder ich mache es eben alleine. Mir ist es egal.«
Natürlich war er neugierig genug, um mitzukommen, zweifelte aber immer noch an ihrer Existenz.
Doch es gab sie und ich triumphierte!
Die Tür befand sich tatsächlich genau wie in meinem Traum im Untergeschoss des Ostflügels. Aber sie war aus schwerem Eisen und verschlossen, sodass wir sie nicht einen Millimeter bewegen konnten und das Unternehmen zunächst einmal abbrechen mussten.
Also wanderten wir noch ein wenig zum See hinunter, wo Conrad unter dem funkelnden Sternenhimmel offenbar von einer romantischen Anwandlung befallen wurde, ein überaus kitschiges Gedicht rezitierte und mich dann in seine Arme zog.
»Wenn ich in deine Augen seh, so schwindet all mein Leid und Weh. Doch wenn ich küsse deinen Mund, so werd ich ganz und gar gesund …«
Ziemlich überrumpelt ließ ich es geschehen, um sehr schnell zu merken, dass das gar keine gute Idee war. Denn als er begann, mein Gesicht mit Küssen zu bedecken, und dabei recht niedliche Koseworte flüsterte, die wohl meine Libido anstacheln sollten, ging das gründlich daneben. Das Einzige, was angestachelt wurde, war ein vampirischer Blutdurst. Ihm jetzt in den Hals zu beißen, das allein schien mir größte Lust und höchste Befriedigung zu versprechen. Wie weiß seine Haut
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