Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
doch in der Dunkelheit schimmerte, wie kräftig sein Blut durch die Schlagader pulste … Ich spürte plötzlich ein unglaubliches Begehren, und der Drang, mir jetzt sofort, auf der Stelle sein Blut einzuverleiben, zerriss mich fast.
Ich fühlte, wie ich mehr und mehr aus meiner menschlichenExistenz heraustrat und zu einem Wesen wurde, das nur noch von seinen archaischen Bedürfnissen gelenkt wurde. Triebhaft auf eins fixiert: Blut, Blut und immer wieder Blut! Und das Verstörende daran war, dass es offenbar kein von mir separiertes Monster gab, sondern ich selber danach verlangte. Vor meinen Augen verschwamm Conrads Gesicht in einem roten Blutsee, löste sich förmlich darin auf, bis mich nur noch seine Augen anstarrten … die Pupillen schreckgeweitet und starr …
Er wird tot sein, wenn du ihn beißt und aussaugst, sagte eine Stimme in mir, er wird für dich auf immer verloren sein … Wenn ich die Vampirin in mir herausließ … wenn …
Conrads Mund berührte meine Lippen, der blutige Schleier vor meinen Augen zerriss und das Entsetzen erfasste mich.
Ich stieß ihn von mir und wie von Furien gehetzt rannte ich zum Haus zurück, wo ich mich in der Bibliothek einschloss und in einer verzweifelten Ersatzhandlung meine Arme und Beine zerkratzte, bis schwarzes dickes Blut aus den Wunden hervorquoll. Als Conrad an die Tür klopfte und nach mir rief, antwortete ich ihm erst nach einer Weile und auch nur, weil er gar keine Ruhe geben wollte.
»Geh schlafen«, rief ich. »Es ist alles gut. Ich will noch etwas lesen und dabei nicht gestört werden.«
»Aber du musst vor mir die Tür nicht verschließen, Amanda. Ich will dir nichts antun … wenn mein Verhalten zu einem solchen Eindruck bei dir geführt hat, dann tut es mir ehrlich leid …«
Ich ging an die Tür, legte den Kopf gegen das Holz und weinte. »Ich weiß, Conrad«, sagte ich leise, »ich weiß … bitte geh schlafen und lass uns morgen darüber reden …«
»Was? Hast du etwas gesagt, Amanda?«, kam von jenseitsder Tür die Frage von Conrad, dessen Stimme immer noch sehr erregt klang.
»Geh schlafen«, sagte ich, »bitte!« Und weil ich sein Blut durch das dicke Holz der Tür spürte und merkte, wie es auf mich eine geradezu erotisierende Anziehungskraft ausübte, die weit über das hinausging, was ich bisher vor einer Blutmahlzeit empfunden hatte, flehte ich noch einmal und nun lauter werdend: »Geh schlafen, Conrad! Schließ dich ein und störe mich heute nicht mehr! Ich flehe dich an!«
Vermutlich klang meine Stimme nun nach einem Anfall von Hysterie, denn er sagte im besänftigenden Tonfall des Therapeuten: »Ja, Amanda, ja, beruhige dich, ich werde genau das tun. Geh du aber auch zu Bett. Es ist alles gut und morgen werden wir reden …«
Dann war es still. Jedenfalls im Haus. In mir tobte die Erregung weiter. Doch nachdem Lenz gegangen war, ließ der Anfall von Blutgier allmählich nach.
Ich starrte auf meine blutunterlaufenen Fingernägel und die zerkratzten Arme, auf denen sich die Spuren meiner Selbstverletzung bereits wieder schlossen. Ein irritierendes Schauspiel, unheimlich und erstaunlich zugleich. Es erinnerte mich daran, dass Käthe mir schon als Kind ein »gutes Heilfleisch« nachgesagt hatte, weil sämtliche Blessuren meines ungestümen Abenteuerdrangs stets außerordentlich rasch verheilten. Offensichtlich eine der positiven Eigenschaften des Vampirdaseins. Gleich morgen würde ich in der Bibliothek nach einem Buch über Vampirismus suchen. Im Moment befiel mich erst einmal erneut die Unruhe, unbedingt den Schlüssel zu der geheimnisvollen Tür im Untergeschoss finden zu müssen. Wo konnte das verdammte Ding nur sein! Meine Mutter hatte ihn gewissirgendwo hier versteckt! Und weil ich ihn um jeden Preis haben wollte, machte ich mich diesmal weniger pietätvoll über ihren Schreibtisch her. Ja, in meiner Ungeduld riss ich sämtliche Schubfächer auf und wirbelte alles, was mir in die Finger fiel, ziemlich rücksichtslos durcheinander. Dann suchte ich nach verborgenen Mechanismen und inspizierte auch sämtliche Geheimfächer. Nichts, bis ich eher zufällig auf eine Intarsie drückte, die an völlig ungeahnter Stelle ein weiteres Fach öffnete. Fasziniert starrte ich auf ein großes, in helles weiches Leder gebundenes Buch. Warum lag es an dieser verborgenen Stelle und stand nicht in einem der Bücherschränke? Was machte es so besonders? Ich berührte es vorsichtig mit der rechten Hand, strich über den Ledereinband und hatte sofort
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