Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Varieté, wann soll er also Eurer Meinung nach noch Zeit zum Morden finden und, mit Verlaub, mir ist an ihm nie eine besondere Vorliebe für Blut, insbesondere das von Menschen, aufgefallen. Genauso gut könnte ich Euch verdächtigen, denn wart Ihr nicht oft genug auch selbst vor Ort? Und gehören Sensationsreporter wie Ihr nicht per se einer Spezies von Blutsaugern an?!«
Ich stockte, denn vermutlich war ich dabei, schon viel zu viel zu sagen und mich damit um Kopf und Kragen zu reden.
Der Radke lächelte auch nur zynisch und meinte jovial: »Sie haben eine recht stürmische Fantasie, Frau Utz. Allein bezüglich Vanderborg habe ich mir diese Frage auch gestellt und Sie haben recht, gewisse Tatzeiten kollidieren tatsächlich mit seinen Auftritten oder anderen nachweisbaren Tätigkeiten.«
»Das habe ich doch gesagt. Wie könnt Ihr ihn also so falsch verdächtigen? Ich muss doch sehr bitten.«
Er gab sich reuig, allerdings recht schmierig, als täte es ihm leid, und meinte dann: »Sie müssen mich verstehen, Frau Utz, diese Variante war mir einfach lieber, denn wenn ich weiterdenke und ihn als Täter ausschließe, so habe ich die unangenehme Situation, dass sich der Kreis der Verdächtigen auf eine ganz bestimmte Person verengt, was mir nicht lieb ist und Ihnen ebenfalls nicht lieb sein kann und den Herrn Utz ganz sicher rasend machen würde.«
Mein Herz schlug wie toll, aber ich bewahrte die Contenance. »Nur heraus damit, auf wen fällt Euer Verdacht?«
Er ließ die Pfeife ausgehen.
»Muss ich das wirklich sagen? Ich denke, wir sollten zunächst einmal den geschäftlichen Teil besprechen. Ich bin mir sicher, dass meine Theorie vielleicht weniger sticht, wenn wir darin handelseinig werden.«
Er wollte mich erpressen. Nun war es klar. Doch warum?
Stand er nicht dem Utz im Sold und hatte der nicht sehr viel mehr zu bieten als ich?
Also fragte ich: »Was lasst Ihr Euch denn höher entlohnen, das Reden oder das Schweigen?«
Er lachte nun mit unverhohlenem Triumph.
»Kompliment, die Dame, Sie begreifen schnell. Ich denke doch, dass für Sie mein Schweigen wertvoller ist als für Utz mein Bericht. Allein darum bin ich jetzt hier. Soll ich oder wollen Sie zuerst Ihr Angebot machen?«
Mir kam die Galle hoch bei solchem Doppelspiel, und weil der ganze Kerl mir so zuwider war, vergaß ich jedes taktische Kalkül und spie ihm meine Verachtung direkt in sein hässliches, bartumwuchertes Gesicht, in dem die Fuchsäuglein schon gierig glänzten.
Er blieb unbeeindruckt, nahm seinen Hut und wandte sich zum Gehen. An der Tür drehte er sich noch einmal um und meinte in aufgesetzt betrübtem Tonfall: »Wie schade, Frau Utz, dabei haben Sie sich hier so ein schönes Nest mit ihrem Liebhaber von Treuburg-Sassen eingerichtet. Welche Ironie, dass ich das nun zerstören muss. Herr Utz wird, fürchte ich, kaum zu besänftigen sein, wenn er erfährt, dass Sie ihm nicht nur fortlaufend Hörner aufgesetzt, sondern ihm auch noch seine Geliebte ermordet haben. Für denRest interessiert sich dann sicherlich die Berliner Justiz … falls dann noch etwas von Ihnen übrig ist, was sich zu richten lohnt.«
Ich schäumte vor Zorn über sein unverschämtes Auftreten.
»Macht, dass Ihr fortkommt, verlasst sofort das Gut und wagt es nicht noch einmal, es zu betreten.«
Radke wurde plötzlich ganz leise und beschwörend im Tonfall.
»Denken Sie nach, Frau Utz. Sie haben reiche Verwandte. Warum wollen Sie es sich und mir so schwer machen? Sie sind so eine schöne, außergewöhnliche Frau und … Mutter, wie ich hörte. Denken Sie doch auch an Ihre Lieben. Ich gebe Ihnen eine Frist von einer Woche, ich bin ein fairer Mensch. Übergeben sie mir dann einhunderttausend Reichsmark, in kleinen Scheinen bunt sortiert, so weiß ich von nichts mehr und schiffe mich sogleich nach Amerika ein. Die Presse hat dort, wie man hört, eine liberalere Stimme, weshalb es wahrscheinlich befriedigender ist, dort zu arbeiten, als unter dem Damoklesschwert der kaiserlichen Zensur.«
Er tippte sich an den Hut. »Ich hoffe, wir haben uns verstanden. Leben Sie wohl.«
»Raus!«, brüllte ich, »Raus!«, und zwar so laut, dass Mathias sofort alarmiert herbeigelaufen kam.
»Schaff ihn mir vom Hof !«, verlangte ich und spie dem Radke nun wirklich vor die Füße.
Aber auch das nahm er leicht und meinte nur kopfschüttelnd und belehrend wie ein Tugendwächter: »Na, na, gnädige Frau, wo bleibt denn da die Contenance?« Er setzte sich in sein kleines offenes
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