Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
auf das Blatt und verwischten die Tinte. Amanda schlief. Mein Dasein aber war rastlos. Ich konnte nicht leben und nicht sterben und doch tötete das Leid der Freunde jedes Mal ein Stück von mir.
Der Frühling ließ das Eis endgültig schmelzen und ebenso den kühlen Panzer, der sich seit Georgs Tod um mein Herz gelegt hatte. Dieser schien mir ein dunkles Omen auch für mein Leben zu sein. Doch mit den Frühblühern, den Tulpen und Narzissen, dem frischen Laub an den Bäumen zog ein neues Lebensgefühl auf dem Gut ein, das schließlich sogar mich in meiner Dunkelheit ergriff.
Ein neuer Tatendrang durchpulste mich und so beschlossich, für den Fall, dass Amadeus und Amanda schneller zu Vampiren wurden, als es bis jetzt den Anschein hatte, das Gutsgebäude vampirgerecht umbauen zu lassen. Es verfügte über große unterirdische Gewölbe, die uns vor dem Sonnenlicht schützten und die, mit ein wenig neuzeitlichem Komfort versehen, ein angenehmes und vom menschlichen Getriebe auf dem Gut separiertes Leben ermöglichen würden. Wenn man die Zugänge versteckt und geheim anlegte, würde es vielleicht sogar möglich sein, dass Amadeus sich dort, ohne die Gefahr, entdeckt zu werden, wieder länger auf Blankensee aufhalten konnte.
Ich ließ mir Polen für die Arbeiten kommen, damit auch ja nichts von unserem Geheimnis in Berlin bekannt würde. Zwar tötete ich sie nicht, wie es die Pharaonen mit den Errichtern ihrer Grabkammern getan haben sollen, doch ich legte ihnen die Verschwiegenheit sehr ans Herz, und statt sie mit einzumauern, untermauerte ich deren Einhaltung mit einem mehr als anständigen Lohn.
Ich war schon dabei, Pläne für die Einrichtung der Räume zu machen, und fühlte mich fast sicher, aber auf jeden Fall sehr glücklich, als das Schicksal erneut andere Pläne mit mir hatte.
E s war im Juli 1914, als ich kurz in Berlin weilte, um mich mit Nahrung zu versorgen. Nach wie vor plagten mich nicht nur die Angst vor Entdeckung, sondern auch Skrupel bei diesem Geschäft. Aber meine weiteren Versuche, tierisches Blut zu trinken, waren so gründlich misslungen und ekelten mich dermaßen an, dass mir keine Wahl blieb.
Vanderborg freute sich wie immer über meinen Besuch.Nach einem angenehm verbrachten Abend ging er zur Ruhe, während ich mich heimlich auf den Weg hinunter zur Spree machte, wo in der lauen Sommerluft manche Nachtgestalten flanierten. Seltsam ruhig lag der Fluss.
Der Mond war von einer Wolke verdunkelt und die Nachtigall schlug, als im schwachen Schein der alten Gaslaternen eine Gestalt mit eiligem Schritt auf mich zukam. Ich verbarg mich hinter einem Baum, bis der Spaziergänger fast vor mir stand. Es war ein junger Mann, von, soweit ich es im Dämmerlicht sehen konnte, angenehmem Äußeren, kraftvoll und nicht einmal betrunken!
Also sprach ich ihn an.
»Wohin so eilig, der Herr, an einem so milden Abend, der statt zur Hetze doch eher zum geruhsamen Bummeln einladen sollte?«
Er verhielt unwillig den Schritt und sah mich wenig freundlich an.
»Ihr verschwendet Eure Zeit«, sagte er auch sogleich ablehnend und es war deutlich, dass er mich für eine Käufliche hielt. »Ich habe schon eine Verabredung und die liegt mir am Herzen.«
Er war schön und vital und ich wollte ihn haben. Gewiss war sein Blut von ganz besonderer Güte und würde lange vorhalten. So sagte ich kess: »Ich weiß, denn auch wenn Ihr es noch nicht wisst, heute seid Ihr mit mir verabredet und liegt mir wirklich ebenfalls am Herzen.«
Und ohne eine Vorwarnung stürzte ich mich allzu gierig auf ihn. Doch er wehrte sich geschickt und stark und schleuderte mich mit barschen Worten von sich.
»Was soll der Unsinn, seid Ihr verrückt?! Lasst mich in Ruhe!«
Die schnöde Zurückweisung reizte mich nun umsomehr, sie beleidigte mich, denn normalerweise gingen zu dieser Stunde alleinspazierende Männer immer sehr leicht auf mein Angebot ein. So griff ich ihn erneut an, um an seinen schlanken Hals zu kommen. Ich hatte Erfolg und schlug gerade meine Zähne in der Nähe seiner Schlagader in seine festen Muskeln, als er sich noch einmal aus meinem Klammergriff wand und mich abschüttelte wie eine Raubkatze, die einem Stier im Genick saß. Dann packte er mich mit beiden Händen und zwang mich, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Sind Sie pervers?! Was nehmen Sie sich heraus?« Und angewidert stellte er fest: »Sie haben Blut am Mund!«
Weil ihm wohl erst jetzt der Schmerz am Hals auffiel, griff er spontan dorthin und lockerte die
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