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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Sonne mich sonst verbrennen würde. Ich zeigte ihm die Narben auf meinen Armen, die von Brandblasen herrührten, die ich mir zugezogen hatte, als ich eilig das Haus eines Mannes verließ, dessen Blut ich, besinnungslos vor Durst, in der hereinbrechenden Morgendämmerung getrunken hatte und das mich nach langer Abstinenz so berauscht hatte, dass ich darüber die Zeit vergaß und in den Sonnenaufgang hineintaumelte. Das Licht fraß sich wie Säure in meine Haut, die sofort blasig aufquoll. Nur ein rascher Sprung in einen Kellereingang rettete mich vor Schlimmerem.
    Marat strich mit seiner Hand, die dunkel war von Druckerschwärze, über meinen Arm. Er hob ihn an seinen Mund und küsste meine Narben.
    Danach schien er sein Los leichter zu tragen.
    Vier Jahre kämpfte Marat als Anwalt der Armen und Entrechteten im Untergrund, bis ihn ein Judas verriet und die Gendarmerie sein Versteck stürmte, die Druckpresse zerschlug und ihn ins Gefängnis verschleppte.
    Aber sein Kampf war nicht vergebens, er kehrte zurück undstürmte mit dem Jakobiner Danton und den Sansculotten die Tuilerien. Danach war das Schicksal der Monarchie besiegelt und es kamen die Tage, an denen die Auffangkörbe der Guillotinen überquollen von den Köpfen der royalistischen Verbrecher!
    Es war an einem dieser Tage, dass ich Vladko von Przytulek, in Kniebundhosen und Gehrock aus Brokat, in zierlichen Schnallenschuhen und mit weißen Strümpfen, auf den Knien um sein jämmerliches Leben flehen sah.
    Ich stürzte auf ihn zu, riss ihm die Perücke herunter, unter der ein lächerlicher stiernackiger Glatzkopf steckte, und spie ihm ins Gesicht.
    »Ich bin Eleonore, Vladko«, sagte ich, »die dein Ahnherr pfählen ließ. Es scheint dir vielleicht, als wärst du ein Opfer der Revolution, aber du irrst. Denn es ist mein Fluch, der dir heute das Leben nimmt, wie Ladislav von Przytulek mir das meine genommen hat. Unchristlich und unter öffentlichem Spott. Das sollst du wissen, wenn dich das Fallbeil der Guillotine trifft.«
    In seinen schreckgeweiteten Augen sah ich, dass er mich für eine Irre hielt. Eine gefährliche Irre. Vor der es für ihn jedoch kein Entrinnen gab. Zwei Jakobiner zerrten ihn aus dem Staub, in dem er sich vor mir gewälzt hatte, und auf meinen Wink zwangen sie ihn auf die Schlachtbank, wo ihm der Kopf vom Rumpf getrennt wurde.
    Sein Blut spritzte nur mäßig, aber der eine Spritzer, der mich an der Hand traf, ätzte wie schweflige Säure und ich schrubbte tagelang meine Hände, bis die Haut fast in Fetzen ging, so tief saß der Ekel, den ich gegen ihn und sein Geschlecht hegte.

    »Träumst du, Estelle? Aufgewacht!« Es war Friedrichs heitere Stimme, die mich wieder zurück in das Paris der Gegenwart holte. Die Kutsche umrundete die Place de laBastille und ich sagte aus der Erinnerung heraus zu Friedrich: »Hier brannte am Vorabend der Französischen Revolution die Bastille. Es war ein Feuer, das drei Tage und Nächte loderte und die alte wehrhafte Festung und alles darum herum in Schutt und Asche legte.« Friedrich sah mich verwundert von der Seite an.
    »Das war nur der Anfang«, meinte er, »der Auftakt für ein viel größeres revolutionäres Feuer, das in den folgenden Jahren schließlich den französischen Feudalstaat verschlang.«
    »Und Marat hat dazu ganz wesentlich beigetragen«, fügte ich hinzu und war stolz darauf, dass ich ihn hatte unterstützen dürfen.
    Nun war auch Vanderborg erstaunt.
    »Woher weißt du das denn alles, mein Kind?«, fragte er.
    Ich zuckte die Schultern. »Ich, ich muss es irgendwo gelesen haben … in einer Frauenzeitschrift … vielleicht.«
    Friedrich lachte laut auf. »Ja, ja gewiss! Es ist dafür ja auch ein ideales Thema. War es vielleicht Die Gartenlaube ? Besonders Marats Ermordung würde doch bei den Damen gewiss im Sinne eines Kolportageromans à la Hedwig Courths-Mahler einen hochwillkommenen romantischen Grusel auslösen.«
    »Seine Ermordung?«, fragte ich, seine Ironie außer Acht lassend, bestürzt. »Jean Paul Marat ist ermordet worden?«
    »Das weißt du nicht, mein neunmalkluges Schwesterlein?«, neckte mich Friedrich. »Parbleu! Was für eine Bildungslücke.«
    »Nun sag schon, wie ist es geschehen? Doch nicht ein Attentat in der Nationalversammlung, während einer seiner flammenden Reden?«
    Friedrich schüttelte den Kopf. »Nein, sehr viel profaner. Er wurde von einer Frau in der Badewanne mit einem Küchenmesser erstochen. Ein wahrer Jammer! Was hätte so ein kluger Kopf nicht noch

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