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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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alles für die Revolution leisten können!«
    »Er war ein Demagoge und Schlächter!«, warf der Große Pilati unwirsch ein. »Es war ein verdienter Abgang. Der Frau gehört ein Denkmal gesetzt.«
    »Wer war sie?«, fragte ich zögernd, denn ich war unschlüssig, ob ich es wirklich wissen wollte, aus Angst, dass mir mein heroisches Bild von Marat vielleicht zerstört würde. »War sie seine … Geliebte?« Sie war es nicht.
    »Schafsköpfchen«, neckte mich Friedrich und berichtete mir von Charlotte Corday und wie sie Marat in seiner Wohnung in der Badewanne überrascht und kaltblütig erstochen hatte.
    Ich sah die Szene lebhaft vor mir und war mir sicher, dass er das Bad genommen hatte, weil ihn wieder seine schmerzhafte Hautkrankheit geplagt hatte.
    Er hätte ein besseres Schicksal verdient, dachte ich betrübt.
    »Man hat sie ergriffen und nach kurzem Prozess mit der Guillotine hinrichtet«, sagte Friedrich.
    Es freute mich, das zu hören, denn bis heute fragte ich mich angesichts des Blutrausches, in dem der französische Feudalstaat durch ihn und seine Jakobiner unterging, ob Marat nicht doch wie ich ein Vampir gewesen war …
    Paris war in der Tat nicht wiederzuerkennen. Wo früher der verwinkelte Stadtkern war, dominierten nun große, offene Plätze und breite Alleen und Prachtstraßen. Überall gab es Kanalisation, hohe aus Stein gebaute Mietshäuser, riesige Paläste und Museen, gigantische Kaufhäuser undelektrische Straßenbahnen, von denen sich einige sogar unter der Erde bewegten. Ich glaubte nicht, dass ich in eine solche Bahn je einsteigen würde, bewunderte aber den Mut der Franzosen, so etwas zu bauen.
    Während Friedrich und ich aus dem Staunen nicht herauskamen, war Vanderborg hoch erregt und wir fürchteten, dass ihn vor Aufregung der Schlag treffen könnte.
    Obwohl es nicht mehr Sommer war, herrschte eine angenehme Temperatur, fast wie im Frühsommer, und die Menschen hielten sich recht leicht bekleidet bis in die Abendstunden im Freien auf. Flanierten nur in Kleid und Gehrock, aber mit den abenteuerlichsten Hutkreationen auf den Boulevards oder saßen in Freiluftlokalen und tranken Wein und Bier wie in der Hasenheide.
    Natürlich konnten wir nicht in einem der noblen Hotels Quartier beziehen, die im neuen Zentrum an den Boulevards nahe der Weltausstellung lagen, denn erstens war dort alles von entsprechend noblen Herrschaften belegt und zweitens fehlte sowohl Vanderborg als auch dem Großen Pilati dazu das nötige Kleingeld.
    Da wir ohnehin nur zu unserem Vergnügen und um die Weltausstellung zu besuchen, in diese Gegend kommen würden, unsere magischen Vorstellungen aber in einem Varieté am Montmartre, im 18. Arrondissement, stattfinden sollten, bot es sich an, dort Quartier zu nehmen.
    Dies erwies sich jedoch als nicht eben einfach, denn nun, so kurz vor dem Ende der Weltausstellung, hatte noch einmal ein beträchtlicher Besucheransturm der Spätentschlossenen eingesetzt und ganz Paris war nahezu ausgebucht. Nachdem wir mehrmals abgewiesen worden waren, begann der Große Pilati zu zetern: »Nur weil wir Deutsche sind, gibt man uns kein Zimmer! Das ist der Hass derFranzosen, nur weil wir den Krieg gewonnen haben. Sie waren schon immer schlechte Verlierer!«
    Er meinte, wie Friedrich mich aufklärte, den Krieg von 1870/71, an dessen Ende Frankreich gezwungen wurde, im Spiegelsaal von Versailles einen höchst unehrenhaften Friedensvertrag zu unterzeichnen. Demnach konnte man den Franzosen wohl kaum verdenken, dass sie auf alles Deutsche nicht gut zu sprechen waren.
    Da der Große Pilati seinen Unmut darüber jedoch nicht eben leise von sich gab, war es höchst unangenehm und verbesserte unsere Aussichten auf ein Hotelzimmer auch nicht gerade. Im Gegenteil.
    So waren wir schließlich froh, als Friedrich mit viel Schmiergeld am Fuße der Butte Montmartre, dem höchsten Hügel von ganz Paris, auf dessen Kuppe zurzeit eine Kathedrale erbaut wurde, in einem Hinterhof bei Privatleuten zwei Zimmer im Souterrain ergatterte, welche diese geräumt hatten, um ein kleines Salär hinzuzuverdienen. Wo sie selbst derweil schliefen, wollte ich besser gar nicht wissen.
    Die Kammern rochen recht streng nach Knoblauch, was mir eine leichte Übelkeit machte, und erweckten auch sonst nicht den Eindruck größter Reinlichkeit. So suchten wir erst einmal die Betten nach Wanzen ab und wischten alles sorgfältig mit feuchten Tüchern, die danach schwarz waren von Dreck und Staub.
    Nun darf man aber dabei nicht

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