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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Leidenschaft und wir brannten und schmolzen gemeinsam im Feuer der Lust.
    »Estelle!«, stöhnte er im Auf und Ab unserer Leiber. »Estelle, was machst du mit mir? Du löschst mich aus … Moral und Sitte reißt du aus meinem Herzen … du tötest den Bruder …«
    Aber ich erweckte den Mann.
    Irgendwann lag ich mit meinem Mund keuchend an Friedrichs Hals und ich spürte das Blut heftig in seiner Schlagader pulsieren. Meine Zunge glitt die Ader entlang und ich leckte dabei den salzigen Schweiß von seiner Haut … unmerklich verlor ich die Kontrolle … und plötzlich war mein Verlangen nach seinem frischen jungen Blut stärker als jedes andere Gefühl, das ich soeben noch für Friedrich empfunden hatte. In mir kochte die Gier und ich wollte nur noch eins … ihn beißen und mir sein Blut einverleiben …
    Voller Ekel vor mir selbst stieß ich ihn mit aller meiner noch verbliebenen Abwehrkraft von mir, raffte den Mantel an mich und hetzte halb nackt aus dem Zimmer, um in letzter Sekunde der Versuchung zu entgehen, Friedrich den Kuss zu geben, den er niemals von mir empfangen durfte, wenn ich ihn nicht für ewig verlieren wollte.
    »Estelle!«, hörte ich ihn hinter mir her rufen. »Estelle! Wohin gehst du? Bleib hier! Mach mich zu deinem Sklaven … nur lauf nicht fort!«
    In die enge Gasse drang auch tagsüber kaum ein Lichtstrahl und in nichts als den Mantel gehüllt drückte ich mich zitternd in den Schatten der Häuser.
    Es war Schicksal und sein Pech, dass ein junger Arbeiter fröhlich pfeifend meinen Weg kreuzte. Ich öffnete einwenig meinen Mantel, und als er meine nackten Brüste sah, blieb er stehen. Er hielt mich wohl für eine der käuflichen Frauen, die hier an vielen Ecken auf Freier warteten, und zog daher ein paar Francs heraus und drückte mich wortlos in einen Durchgang zu einem Hinterhof. Dort presste er mich gegen die feuchte Mauer. Sein Prügel drängte hart gegen meinen Leib und fiel abrupt in sich zusammen, als ich ihm mit spitz hervorwachsenden Zähnen in den Hals biss und in hastigen Zügen meine Blutgier stillte. Er leistete sich windend Widerstand, sank jedoch bald mit einem letzten Zittern in meine Arme.
    Ich erinnere mich nicht, ob er, so wie es mancher tat, bei meinem Biss aufgeschrien hatte, vermutlich ja, denn als ich ihn zu Boden gleiten ließ, stand plötzlich ein Mann im Durchgang zur Straße – wie ein großer schwarzer Schatten stand er da und beobachtete mein Tun.
    »Je peux vous aider?«, fragte der Schatten mit einem unfranzösischen Akzent und ich fühlte mich zu meinem Entsetzen ertappt. Der Fremde kam näher und beugte sich zu dem jungen Mann herunter. Ich trat zurück und wandte mein Gesicht ab, als er plötzlich erst auf Deutsch und dann auf Französisch sehr bestürzt ausrief:
    »Aber, aber, Madame! Er ist tot! Il est mort!«
    Nun sah ich, dass es der Mann mit dem wuchernden Backenbart war, den Friedrich und ich in der Nacht erst für einen Spion und dann für einen englischen Reporter gehalten hatten. Ganz offensichtlich war er jedoch ein Deutscher. Wortlos drehte ich mich um und rannte davon, die Angst, entdeckt und entlarvt zu werden, wie eine Furie im Nacken. Hinter mir verhallte sein Ruf an den Häuserwänden:
    »Mademoiselle, bleiben Sie stehen … Mademoiselle … Il est mort! Retournez, s’il vous plaît! Kommen Sie zurück!«
    Ich dachte nicht daran, sondern floh, so schnell ich konnte, zurück in unser Logiszimmer im Souterrain, wo ich mich Friedrich hemmungslos schluchzend in die Arme warf.
    Ich wusste, ich hatte gemordet, und zum ersten Mal war ich von jemandem bei einem meiner Opfer beobachtet worden. Ich verging vor Angst und konnte Friedrich nicht einmal sagen warum!
    »Du darfst mich nicht lieben, Friedrich«, wisperte ich stattdessen mit bebenden Lippen. »Sag, dass du mich hasst! Sag es, bitte, wenn dir dein Leben und mein Seelenfrieden wichtig sind!«
    Liebevoll, doch ohne mich auch nur annähernd zu verstehen, sah Friedrich mich an. »Aber ich hasse dich nicht, Estelle, wie könnte ich, wo du das Beste bist, das mir in meinem Leben je passiert ist. Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt, als du in diese Welt gekommen bist.«
    »Es hat die Mutter das Leben gekostet, Friedrich! Hast du das vergessen? Wenigstens dafür musst du mich hassen!«
    Er schüttelte irritiert den Kopf, weil er nicht begriff, was niemand begreifen konnte, der meine wahre Natur nicht kannte. »Estelle, ich habe dich immer geliebt. Schon als ich noch ein Knabe war, begann

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