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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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nach!«
    Friedrich war verwirrt. »Wer stellt dir nach? Wen soll ich gesehen haben?«
    »Dieser Reporter, mit der Pfeife und dem Backenbart, dieser Ludolf Radke, er, er stand am Bühneneingang …«
    »Vielleicht hat er ein Interview gewollt … es ist sein Beruf, Nachrichten zu sammeln und zu verbreiten. Warum ängstigt er dich so?«
    Natürlich konnte ich Friedrich die Wahrheit nicht sagen und so schwieg ich. Von Stund an aber war mir Paris vergällt, denn ich fühlte mich nicht mehr sicher in dieser Stadt.
    »Wann werden wir abreisen?«, fragte ich Friedrich also.
    Er zuckte die Schultern und sah mich traurig an. »Ich befürchte, bald – nach diesem Desaster heute.«
    Das Desaster war einigen Gazetten recht bösartige und schadenfrohe Artikel wert, in denen über die provinziellen deutschen Zauberkünstler sehr bissig hergezogen wurde. Verübeln konnte ich es ihnen nicht, denn wir hatten ohne Vanderborgs großartige Illusionsmaschinen wahrhaftig ein klägliches Schauspiel geboten, das allerdings auch den Großen Pilati auf Normalmaß zurückgeschrumpft hatte.
    Das einzig Zauberhafte, schrieb wenigstens Le Parisienne , sei die junge Mademoiselle gewesen, die sich allerdings die Pfiffe zu sehr zu Herzen genommen habe, die ausschließlich der stümperhaften Vorstellung gegolten hätten. Aber das änderte natürlich nichts daran, dass Vanderborg und der Große Pilati sich aufs Tiefste in ihrer Ehre gekränkt fühlten. Die Stimmung war dann endgültig im Grabe, alsuns der Varieté-Besitzer am Abend auch noch die Rechnung für die verkorkste Vorstellung präsentierte. Er hatte etlichen Gästen den Eintritt zurückerstatten müssen, und statt ein Honorar zu zahlen, verlangte er eine horrende Saalmiete von uns.
    Vanderborg und der Große Pilati vertrösteten ihn mit viel Überzeugungsarbeit auf den nächsten Tag, da sie das geforderte Geld erst von der Bank besorgen müssten.
    Bei, wie man so sagt, Nacht und Nebel packten sie jedoch unsere Sachen, beglichen von ihrem letzten Geld die Rechnung für das Logis, bestellten einen Wagen und machten sich wie die Diebe aus dem Staube.
    »Mein Kind«, sagte Vanderborg später zu mir, als wir im Eisenbahnabteil nach Berlin saßen, »es war nicht die feine Art, uns so davonzuschleichen, und du sollst es dir nicht zum Vorbild nehmen, doch wir haben nirgends mehr Kredit und hätten unsere Schulden nicht bezahlen können. Es bestand also nur die Alternative, Flucht oder Schuldgefängnis, und die Letzteren haben in Frankreich gar keinen guten Ruf !« Er tätschelte mein Knie. »Ich habe ein schlechtes Gewissen, aber es gab wirklich keine Wahl.«
    Der Große Pilati war noch immer beleidigt, weil die französischen Gazetten ihn so verrissen hatten, und brummte daher nur ungnädig: »Papperlapapp! Macht nicht so einen Aufstand, Vanderborg. Das Pack hat es nicht anders verdient. Es war ein reiner Racheakt für Versailles!«
    Nur Friedrich nahm die Sache wieder einmal von ihrer humorvollen Seite und meinte mit blitzenden Augen und einem ironischen Zucken in den Mundwinkeln: »Was soll’s, wir haben uns doch ganz im Sinne der Völkerfreundschaft der Landessitte angepasst und uns von Paris auf Französisch verabschiedet.«

    N ach dem quirligen Paris bot das Leben im Hause Vanderborg wenig Abwechslung, und ich fiel in eine dumpfe Schwermut, in der ich mich immer wieder fragte, wie mein Leben als Vampirin unter den Menschen weitergehen konnte, ohne irgendwann für Friedrich und mich in einem tödlichen Blutrausch zu enden.
    Seine tiefe, devote Liebe zu mir war auch in Berlin offensichtlich, und jedes Mal, wenn er mich aus meiner Kammer lockte, um mich mit den Amüsements des Berliner Nachtlebens aufzuheitern, wurde sie offensichtlicher. Er durchtanzte mit mir auf den ersten Bällen der Saison die Nächte oder schleppte mich zu seinen Künstlerfreunden in recht dubiose Gegenden und Kneipen. Bei allem aber, was er tat, suchte er die Intimität enger Berührungen und Zärtlichkeiten, und wenn ich mich zurückhielt, besonders in der Öffentlichkeit, trank er mehr, als gut für ihn war.
    Zwar war Berlin inzwischen eine riesige Stadt mit Millionen von Einwohnern, in mancher Hinsicht allerdings doch noch ein Dorf, in dem sich der Klatsch in gewissen Kreisen sehr schnell verbreitete. So blieb es nur eine Frage der Zeit, bis die Gerüchte auch zu Vanderborg drangen und er, unterstützt von Hansmann, ein Donnerwetter über unseren Häuptern losließ, von dem besonders Friedrich ordentlich

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