Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
ich dich mit den Augen der Liebe anzusehen und dir mein Leben zu weihen. Ich war dein Sklave und Beschützer und ich werde es bleiben bis in alle Ewigkeit.«
Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen bei seinen Worten, denn ich fürchtete, dass er wahr gesprochen hatte und seine Bestimmung schon unbewusst ahnte.
Aber ehe ich noch etwas sagen konnte, fiel er zurück aufdas Lager und schlief schnarchend den Rest seines Rausches aus.
Am nächsten Morgen fand sich ein kleiner Artikel im Le Parisienne, in dem kurz berichtet wurde, dass der deutsche Reporter Ludolf Radke im Quartier Butte Montmartre den Mord an einem jungen Mann entdeckt habe und nach einer jungen Frau gefahndet werde, welche in Verdacht stehe, an seinem Tod beteiligt gewesen zu sein. Aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse am Tatort habe Radke sie nicht genauer beschreiben können, zudem sei sie sogleich entflohen. Der Leichnam selbst sei vollkommen blutleer gewesen und weise am Hals seltsame Bissverletzungen auf.
Als Friedrich mir die Meldung zeigte, brachte er sie nicht im Mindesten mit mir in Verbindung, ja er lachte sogar dabei und meinte: »Vielleicht hätte der Vater seine Vampirfangmaschine in Paris erproben sollen. Wie es scheint, hätte er hier mehr Erfolg gehabt.«
Er blinzelte mir unernst zu und biss herzhaft in ein Croissant.
Sein Blick ruhte liebevoll auf mir, aber ich konnte ihm nicht entnehmen, was ihm von den Geschehnissen der frühen Morgenstunden im Bewusstsein geblieben war. Wenn es viel war, so ließ er es sich – ganz Gentleman – vor Vanderborg und dem Großen Pilati jedenfalls nicht anmerken, und da der Tag zahlreiche Abwechslungen für uns bereithielt, war auch von meiner Seite zunächst keine Gelegenheit, ihn darauf noch einmal anzusprechen.
Vanderborg und der Große Pilati hatten mittlerweile die Hoffnung aufgegeben, dass die Illusionsmaschinen noch vor dem Ende der Weltausstellung in Paris wiederauftauchen würden. Wenigstens hatte sich die Kiste mit denZauberutensilien inzwischen angefunden, und so bereitete Vanderborg mit dem Großen Pilati eine provisorische Ersatzveranstaltung vor, in die ich als schwebende Jungfrau eingeplant war. Das gefiel mir zwar ganz und gar nicht, aber es führte kein Weg daran vorbei, denn es gab wenig, womit ich die beiden verzweifelten Männer sonst hätte unterstützen können.
Bei den Proben stellte ich mich allerdings recht tölpelhaft an und dem Großen Pilati riss mehr als einmal die Hutschnur.
Um die Wogen wieder zu glätten, schlug Friedrich vor die Gelegenheit zu ergreifen und während der Abendöffnungszeit die Halle der Maschinen sowie den Palast der Elektrizität zu besuchen; eine Idee, welche Vanderborg sogleich freudig aufgriff, der Große Pilati aber als langweilig von sich wies. So gingen wir denn getrennter Wege. Friedrich, Vanderborg und ich machten uns bei einbrechender Dunkelheit zum Weltausstellungsgelände auf, um unseren Horizont zu erweitern, und der Große Pilati strebte in Richtung Place Pigalle, um Schürzen zu jagen.
Auf unserem Weg kamen wir links der Alexanderbrücke an der Straße der Nationen vorbei, wo mit viel Gips und Pappmaschee zu Füßen des Eiffelturms morgenländische Paläste und sogar eine Moschee nachgebildet worden waren. Alles wirkte ein wenig wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht, erweckte Staunen in uns, aber auch Skepsis ob seiner merkwürdigen Künstlichkeit.
Noch stilloser allerdings empfand besonders Friedrich, der einen sehr ausgeprägten sicheren Geschmack und ein gutes Gefühl für Proportionen hatte, den deutschen Ausstellungspavillon, dessen grauenvolles Stilgemenge in der Tat das Auge schmerzte. Neugotische Bögen,angedeutete Treppengiebel, Türme, einer davon mit pagodenartigem Dach, angesetzte Erker und Lüftlmalereien zierten ein architektonisches Monstrum zwischen Schlossanspruch, Holzbaukasten-Ästhetik und Hofbräuhaus-Flair.
»Eine Katastrophe«, sagte Friedrich, »lasst uns schnell weitergehen, ehe wir vor Scham, Deutsche zu sein, rot anlaufen müssen.«
Ich war geschmacklich nicht so geschult wie er, aber weil auch Vanderborg nur fassungslos den Kopf schüttelte, beschloss ich den Pavillon ebenfalls schrecklich zu finden.
»Es ist so vieles hier gänzlich rückwärtsgewandt«, zog Friedrich ein vorläufiges, ziemlich kritisches Fazit über die Weltausstellung. »Man huldigt einem abgeschlossenen Jahrhundert, ohne eine Perspektive für das neue zu entwickeln. Zukunft findet hier jedenfalls nicht
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