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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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statt.«
    In der Maschinenhalle und im Elektrizitätspalast musste er diese Ansicht allerdings doch etwas revidieren, auch wenn er nicht die Euphorie teilte, die Alexandre Millerand, der sozialistische Handelsminister, in seiner Eröffnungsrede hatte aufblitzen lassen und die auf vielen Flugzetteln nachlesbar war.
    Friedrich schüttelte nur skeptisch den Kopf, Vanderborg jedoch war eins mit jenen Worten, als er sie uns nach dem Rundgang durch die Hallen bei einem schwarzen Kaffee im Foyer vorlas:
    » Die Maschine ist die Beherrscherin des ganzen Erdballs geworden. Sie ersetzt die Arbeiter, sie macht sie sich zur Mitarbeit dienstbar und vervielfältigt die Beziehungen der Völker. Der Tod selbst ist zurückgewichen vor dem siegreichen Fortschritt des Menschengeistes …«
    »Vater!«, unterbrach Friedrich ihn. »Trinkt aus, sonst verpassen wir die Vorführungen im Elektrizitätspalast.«
    Wir brachen auf, aber Vanderborg fiel sogleich in den nächsten Begeisterungstaumel, als wir vor einem Trottoire roulant , einem wahrhaft rollenden Gehsteig standen, den er zunächst zögerlich, wenig später höchst enthusiastisch ausprobierte, und ich muss gestehen, es war eine überaus spaßige Erfahrung, statt die eigenen Füße zu benutzen, einen Bürgersteig zu haben, der einen wie ein Förderband in einer Fabrik von einem Ort zum anderen transportierte.
    Natürlich fühlte sich Vanderborg durch das Bekenntnis der Weltausstellung zur Elektrotechnik als ihrem Lebensnerv in seinen Forschungen bestätigt und es gefiel ihm, dass neben den Künsten in den Palais auch den Bereichen Mechanik und Elektrizität so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Damit war er in seinem Erfindergeist angesprochen und erwachte förmlich zu neuem Leben. Die Schlappe in den Karpaten war endgültig vergessen, sein Schnurrbart vibrierte in einem fort vor Aufregung und seine innere Anspannung brach sich immer wieder in spontanen Ausrufen der Begeisterung Bahn. Für ihn, das stand fest, hatte sich diese Reise in jedem Falle gelohnt. In der Maschinenhalle hatte er sein Notizbuch hervorgezogen und immer wieder Ideen skizziert, zu denen er von den ausgestellten Objekten angeregt worden war; nun, am Elektrizitätspalast, steckte er es in seine Rocktasche und gab sich wie ein Kind staunend der Faszination hin. Und auch Friedrich und ich verfielen dem Zauber. Die filigrane Sternenkonstruktion auf dem Dach strahlte jetzt wie ein Sternenhaufen am Firmament, und als wir eintraten in den großen Illusionssaal, hatten wir das Gefühl, als öffne sich uns das Gewölbe des Raumes bis hinaus in die Unendlichkeit des Weltalls.
    Alles war wie die Magie des Großen Pilati zwar nur eine optische Täuschung, die durch eine trickreiche Installationvon Spiegeln, Licht und Malerei erzeugt wurde, aber wer allein die Atmosphäre auf sich wirken ließ, dem erschloss sich eine atemberaubende visionäre Weite, die er so vermutlich in seinem ganzen Leben nicht mehr spüren würde. Das empfand wohl auch Friedrich, denn er ergriff meine Hand, zog mich an sich und sagte leise: »Und alle Zeit ist Ewigkeit.«

    A m nächsten Abend war es dann endlich so weit. Wir gaben unsere erste Vorstellung in einem Varieté nicht weit von unserer Unterkunft. Ich konnte meine Nervosität halbwegs im Zaum halten, aber Vanderborg war im Vergleich zu mir ein Nervenbündel und sogar der Große Pilati schien innerlich zu flattern. Umso besser, dass wenigstens Friedrich Ruhe bewahrte und hinter der Bühne darüber wachte, dass wir unsere Nummern in der richtigen Reihenfolge und mit den dafür nötigen Requisiten darboten.
    Aber so hübsch ich auch herausgeputzt war, bei einem so verwöhnten Weltstadtpublikum hatten wir ohne Vanderborgs geniale Illusionsmaschinen keine Chance.
    Unsere Vorführung umwehte vom ersten Kunststück an der muffige Atem der Provinz und der Behelfsmäßigkeit, und die Franzosen schienen nur an einem Spaß zu finden: uns unter schrillem Pfeifen in Grund und Boden zu trampeln!
    Ich brach hinter der Bühne in Tränen aus, und als ich am Schaustellereingang den Reporter mit dem Backenbart zu sehen glaubte, gingen meine Nerven mit mir durch und ich weigerte mich aus Angst, dass er mich wiedererkennen könnte, noch einmal die Bühne zu betreten.
    Wir brachen die Vorstellung ab, weil ohnehin nichtsmehr zu gewinnen war, und ich floh mit verhülltem Gesicht an Friedrichs Arm in unser Quartier.
    »Hast du ihn gesehen?«, fragte ich noch völlig aufgelöst. »Ich glaube, er stellt mir

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