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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Fluss seines Blutes mit ihnen zu spüren, wie einen ewigen Lebensquell, an dessen Rand ich dennoch verdursten musste!
    »Beiß ihn«, flüsterte die vampirische Stimme in mir verlockend, »dann gehört er dir. Für immer!« Aber er war so schön, so vital … er wäre nicht mehr derselbe gewesen danach.
    So lag ich weiter reglos über ihm, in diesem Kuss, der Hingabe war und Widerstand, Sehnsucht und Verzicht, Glück und Leid, Leben und Todesnähe und zum Symbol einer Liebe wurde, die all das vom ersten Augenblick an in sich trug.

    Keiner von uns wusste, wie es nach dieser Nacht weitergehen sollte. Schon in der Kutsche, in der ich mit nassen Kleidern unter dem schützenden Mantel saß, befiel mich die Angst vor den Folgen dieser unüberlegten Tat, diemoralisch verwerflicher nicht hätte sein können und mir doch das höchste Glück geschenkt hatte, das ich je in meinem Leben gefunden hatte.
    »Ich liebe dich, Estelle«, hatte Amadeus zum Abschied noch einmal gesagt, »und es ist dein Glück, das mir am Herzen liegt. Ich werde nicht zusehen, wie du an deinem Versprechen dem Utz gegenüber zugrunde gehst.«
    Doch als ich am nächsten Abend in meinem seidenen Morgenmantel in der Stunde der Dämmerung am offenen Fenster saß und hinaussah, wurde mir bewusst, dass meine Liebe zu Amadeus nie den Glanz der Sonne sehen würde, dass sie nur unter dem Schatten des Mondes vollzogen werden konnte und nie die Lust des blauen Himmels, der weißen Wolken, der lauen Gefühle des jungen Tages spüren sollte.
    Sie würde im Zwielicht beginnen und im Zwielicht enden, sie würde schwer sein und leidenschaftlich und bedingungslos wie alles, was die Nacht gebiert. Sie würde von Beginn an ein Verbrechen sein, aber sie war unser unausweichliches Schicksal.
    Und so fasste ich den Entschluss, der mein weiteres Leben in die Katastrophe stürzte, in der ich nun unrettbar verloren herumruderte wie eine Fliege in der Melasse.
    Statt Amadeus, wie ich es geplant hatte und wie es meine Pflicht gewesen wäre, den Laufpass zu geben, beschloss ich, die Affäre mit ihm fortzuführen und dennoch die Ehe mit Utz einzugehen.
    Ich liebte den einen und war dem anderen im Wort, und auch auf die Gefahr hin, dass ich zwischen den beiden Männern zerrissen würde, war ich nicht in der Lage, einen von ihnen von mir zu stoßen.
    Vielleicht war ich feige und glaubte, so den leichterenWeg zu wählen, vielleicht auch egoistisch, weil ich Liebe und Leidenschaft und Reichtum und Sicherheit nicht gegeneinander setzen, sondern alles gleichermaßen haben wollte. Möglicherweise war die Moral in mir zu schwach ausgebildet, um anders zu entscheiden.
    Aber was hatte ich je mit Moral zu tun gehabt? In meinem bisherigen Dasein war sie meist nichts als ein papierenes Postulat gewesen. Es überlebte, wer sich nicht darum scherte!
    So konnte es nur Estelles Naivität sein, die nun plötzlich Skrupel in mir weckte, die ich zuvor nie gekannt hatte und die in meiner Welt bisher ein eher tödlicher Luxus gewesen waren. Ich dagegen beschloss, die Moral Moral sein zu lassen und mir endlich zu holen, was mir das Schicksal bisher verweigert hatte: Liebe und Wohlstand.
    Wohlstand hatte Utz mir freilich reichlich zu bieten, und es hätte schon sehr viel Widerstandskraft dazugehört, die verlockenden Annehmlichkeiten einer eigenen Zimmerflucht in seinem beeindruckenden Haus und die Aufmerksamkeiten, die er mir zukommen ließ, nicht zu genießen und ihm positiv anzurechnen.
    Er besaß eine imponierende dreigeschossige Villa, in deren vorderem Parterregeschoss seine Kolonial- und Handelsbank ihre Geschäftsräume hatte, während der hintere Gebäudeteil, der zu einem idyllischen Garten hinausging, und die oberen Stockwerke ausschließlich der privaten Nutzung dienten.
    Ein an drei Seiten umlaufender, von einem Säulengeländer umrahmter Balkon gab dem Gebäude eine pompöse klassische Anmutung und das Säulenportal am Ende der Freitreppe natürlich ebenfalls. Während im Bankgebäude viel Marmor und dunkles Holz dominierten, waren dieoberen Räume in italienischem Stil gehalten und griffen in Wandmalerei und Stuckverzierung auch Jugendstilelemente auf. Nicht Stilreinheit gab den Ton an, sondern sinnenfroher Luxus.
    Im Hinblick auf meine zukünftigen Räumlichkeiten ließ mir Utz bei der Auswahl von Möbeln und Dekoration freie Hand, gab mir aber einen Raumgestalter zur Seite, der mir allerlei Vorschläge anhand von Katalogen und Stoffmustern unterbreitete.
    Neben einem privaten

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