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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Berlin nieder und bedeckte die Stuckverzierungen der Gründerzeit- und Jugendstilvillen genauso wie den Kaiserpalast.
    Die Berliner Illustrierte Zeitung begann bald Fotoreportagen über das Wohnungselend der Arbeiter zu publizieren, aber es verbesserte sich deswegen nicht wirklich etwas. Es gab einfach zu viele Menschen, die dem kargen Leben auf dem Lande in die vermeintlich reiche Stadt Berlin entfliehen wollten und dann als kläglich Gescheiterte in bitterster Armut vegetierten.
    Mit der Zeit war es mir ein Herzensanliegen geworden, diese Menschen ein wenig solidarisch zu unterstützen.
    Dass hin und wieder ein hübscher Kerl aus dem Proletariat meinem Blutdurst zum Opfer fiel, war mehr oder weniger eine Randerscheinung dieser Aktivitäten, die lediglich mein Überleben sicherte. Zu meiner Ehrenrettung muss ich betonen, dass ich mich stets darum bemühte, nur freche alleinstehende Burschen und niemals einen Familienvater als mein Opfer auszuwählen.
    Allerdings rief dies dennoch wieder den Radke auf den Plan, der in reißerischen Artikeln ganz Berlin zu einer Hetzjagd auf die mordlüsternde Bestie aufrief, die wie weiland Londons »Jack the Ripper« die Hauptstadt mit einer Mordserie überzog. Er löste dadurch eine regelrechte Vampirhysterie aus, die sogar in den Kabaretts satirisch aufgespießt wurde! Wenigstens schien er, was mich betraf, tatsächlich keinen Verdacht zu hegen und ich hatte mir gewiss nur eingebildet, dass er speziell hinter mir herschnüffelte. Dennoch musste ich erhöhte Vorsicht walten lassen, schließlich kannte er mich, und wenn er mir, sei es auch nur durch Zufall, in der Nähe eines meiner Opfer jemals über den Weg liefe, würde er vielleicht gewisse unliebsame Schlüsse ziehen.
    Er glich zu sehr auch in seinem Äußeren, mit den rötlichen Haaren und den schmalen flinken Augen, einem Fuchs, als dass ich ihm hätte über den Weg trauen dürfen. Seine Profession als Sensationsreporter tat ihr Übriges dazu, mir in seiner Gegenwart beständig das Gefühl zu geben, von seinen neugierigen Blicken bis auf die Knochen ausgezogen zu werden. Warum er sich an Utz geklebt hatte, wusste ich nicht zu sagen, nur dass Utz davon durch viele positive Zeitungsberichte, die sein Ansehen in der Geschäftswelt festigten, zweifellos profitierte. Zu seinem Schaden war diese Art der Hofberichterstattung gewiss nicht, und ich war mir genau wie Friedrich ziemlich sicher, dass Radke von Utz nicht schlecht dafür entlohnt wurde.
    Da die Dinge nun einmal so waren, wie sie waren, machte es für mich wenig Sinn, die keusche Ehefrau zu spielen und mich in leidender Duldsamkeit gegen Utz und sein rücksichtsloses Verhalten zu üben. Auch nach meiner Eheschließung stand mir mein Zimmer in der Brüderstraße weiter zur Verfügung und wurde alsbald zu meinem Liebesnest, in dem ich mich mit Amadeus traf, sooft er von der Garnison Ausgang hatte.
    Er gab mir alles, was ich brauchte, mit einer Selbstlosigkeit, wie ich sie noch nie von einem Mann, Friedrich ausgenommen, erfahren hatte.
    Oft kehrte ich nach einem nächtlichen Ausflug ins Milieu nicht in die Villa von Utz zurück, sondern übernachtete in der Brüderstraße, wo mich Amadeus bereits erwartete.
    In seinen Armen Liebe zu empfangen, seine weiche Haut über den festen Muskeln zu spüren, den männlichen Duft in mich aufzunehmen, den er so angenehm verströmte, mich ganz fallen lassen zu können, mich ihm vollkommen hinzugeben, bereitete mir ein so noch nie erlebtesGlück und eine bis in mein tiefstes Inneres reichende Zufriedenheit.
    Nur gelegentlich, wenn ich dem Schicksal nicht trauen mochte, stellten sich bohrende Zweifel an der Aufrichtigkeit unserer Liebe ein, und sofort spürte ich auf meinen Lippen den süßen Geschmack von Blut und aus meinem Kiefer brachen die Zähne spitz als Mordwerkzeuge hervor … In solchen Momenten blieb mir nur die überstürzte Flucht und ich kasteite mich in der Abgeschiedenheit meines Zimmer dafür, dass ich so wenig Vertrauen in unsere Liebe bewies.
    Aber diese Augenblicke wurden immer seltener, und so wäre alles bestens geregelt gewesen und hätte noch lange so andauern können, wenn nicht das Schicksal in seiner Hinterlist erneut andere Pläne gehabt hätte. Beide ignorierten wir die Zerbrechlichkeit unseres Glücks und wussten doch, dass der gegenwärtige Zustand ein relativer war, der jederzeit abrupt enden konnte, was uns in tiefer Verzweiflung zurücklassen würde.

    H ansmann heiratete im Sommer des Jahres 1903 seine

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