Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Handschrift aufzudrücken und Kultur und Geselligkeit in diesen Räumen eine Heimstadt zu geben? Nein, das Einzige, was Ihr betreibt, ist nachts in Berlin herumzuschleichen und Almosen an nichtsnutziges Pack zu verschleudern.«
Ich war erschüttert. Zum einen, weil er tat, als hätte ich überhaupt je eine Chance gehabt, sein Haus als Hausherrin zu führen, was schlicht gelogen war, zum anderen, weil er über meine nächtlichen Ausflüge orientiert schien, vondenen ich annahm, dass sie ganz im Geheimen stattgefunden hätten. Ließ er mich überwachen? Was wusste er noch? Panik stieg in mir auf und sofort stand Ludolf Radkes lauernder Fuchsblick vor meinem inneren Auge. Beängstigend.
Utz erhob sich und ging zum Fenster. Als er mir dort den Rücken zuwandte, überlegte ich noch einmal kurz, ob ich ihn nicht doch in diesem Moment vom Leben zum Tode befördern sollte, aber noch ehe ich einen Schritt auf ihn zumachen konnte, drehte er sich wieder herum und sagte ohne die Spur einer seelischen Rührung: »Ich möchte, dass eins klar ist: Dies ist mein Haus und es geschieht, was ich anordne. Ihr, Verehrteste, habt Euch, besonders was meine Gäste angeht, mit Kritik zurückzuhalten und mir den höchsten Respekt zu erweisen, indem Ihr sie höflich und zuvorkommend in meinem Haus behandelt. Dies gilt ganz besonders für Madame Chantal, die mir eine lange liebe Freundin ist und Eure lächerliche Eifersucht nicht verdient hat.«
Ich schluckte.
»Haben wir uns verstanden?«
Ich schwieg.
»Gnädigste, ich empfehle Ihnen dringend, sich meinen Wünschen anzupassen, denn kommt mir noch einmal so ein unangemessenes Verhalten zu Ohren, werde ich nicht zögern, Sie aus meinem Hause zu entfernen.«
Wenn ich nun gehofft hatte, dass er von sich aus die Scheidung erwähnen würde, sah ich mich getäuscht.
»Ich besitze ein Gut in der Mark; ich denke, es wäre ein angemessener Ort der Stille, wo Ihr im Zweifelsfalle innere Einkehr halten könntet, ohne mir hier weiter mit Eurer Sinnen- und Lustfeindlichkeit die Laune zu verderben.«
Wieder stand ich kurz davor, auf ihn loszugehen. Waswusste ausgerechnet er von meiner Sinnlichkeit und der emotionalen Gewalt, die in mir brodelte? Wie gerne hätte ich ihn davon etwas spüren lassen, aber ich riss mich zusammen, denn ich wollte um jeden Preis in Berlin und damit in der Nähe von Amadeus und Friedrich bleiben und nicht auf das platte Land verbannt werden.
So nickte ich auf seine erneute Frage, ob ich verstanden hätte, und murmelte mit erzwungener Höflichkeit: »Wie Ihr wünscht, doch gestattet mir weiterhin des Nachts mein wohltätiges Werk fortzusetzen.«
Er lachte erneut dröhnend und meinte dann zynisch: »Nur zu … und zeigt ihn mir, wenn Euch ein Heiligenschein wachsen sollte, ich werde dann beim Papst einen Antrag auf Eure Seligsprechung einreichen!« Er öffnete mir die Tür.
»Nein, im Ernst«, zischte er mir bösartig zu, als ich hinaus in den Flur trat, »wagt es nicht noch einmal, Madame Chantal in meinem Haus zu beleidigen, ansonsten macht, was Ihr wollt!«
Nach diesem einseitigen Gespräch kümmerte mich Utz nicht mehr, sollte er meinetwegen mit hundert Huren sein lasterhaftes Leben führen, mich konnte er damit nicht mehr treffen, vielmehr sann ich nun intensiv darüber nach, wie ich dieser Ehe wieder entrinnen konnte. Denn geschieden musste sein und wenn ich dafür bis zum Papst nach Rom reisen musste, um die Annullierung zu erreichen. Aber der Priester, den ich deswegen unter höchsten Qualen eines Abends in meiner Trauungskirche im Beichtstuhl aufsuchte, machte mir kaum Hoffnung.
Dass Utz die Ehe mit mir nicht vollzogen hatte, schien ihm zwar prinzipiell ein triftiger Grund zu sein, dochglaubte er nicht, dass er nach so kurzer Ehedauer schon genügen würde.
»Es kann doch liebevolle Rücksichtnahme sein, meine Tochter, die Euch Euer Gemahl angesichts Eurer Jugend entgegenbringt«, meinte er beschwichtigend. »Wenn erst der Wunsch nach Kindern da ist, ergibt sich – wie das Leben lehrt – vieles von selbst.«
Davor bewahre mich Gott oder der Teufel, dachte ich und schleppte mich schleunigst aus der Kirche, um nicht noch im Beichtstuhl unter Krämpfen zusammenzubrechen.
So richtete ich mich denn also auf ein Leben ohne Utz ein, und weil ich tagsüber ohnehin kaum aus dem Hause konnte, um nicht vom Licht der Sonne versengt zu werden, fuhr ich fort, nachts ins Milieu zu gehen und unter Bettlern, Arbeitslosen und anderen Nachtgestalten kleine Almosen zu
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