Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
gewaltige Festtafel gedeckt war, an der bald die köstlichsten Speisen, insbesondere Austern, Fisch, Hummer und Wildbret aufgefahren wurden, begleitet von Champagner und edelsten weißen Rheinweinen und rotem Burgunder, der wie Blut in den Gläsern aussah und in mir eine Gier weckte, die ich nur mit größter Anstrengung unter Kontrolle bringen konnte. Es wäre fatal, wenn ich hier in Hamburg ein Opfer zurücklassen müsste, denn es wäre zu verräterisch, nachdem Radke davon Kenntnis hatte, dass ich mich zurzeit hier aufhielt, und wohl kaum an Amnesie litt, die ihn meine Anwesenheit im Paris der Weltausstellung hätte vergessen lassen. So unterdrückte ich meinen unersättlichen Trieb und starrte zwanghaft in den Wein, der so rot war wie Blut.
Unwillkürlich musste ich an die Pariser Bluthochzeit denken, bei der Katharina von Medici Hunderte von Hugenotten in Paris abschlachten ließ, aber weil das ein völlig unpassender Gedanke bei dieser schönen Hochzeit war, riss ich meinen Blick vom verführerisch funkelnden Rot los und war gewillt, aus Hansmanns und Gertruds Hochzeit keine Bluthochzeit zu machen und abstinent zu bleiben. Nicht das kleinste Schlückchen Blut würde ich mir gestatten, auch wenn es mir noch so schwerfiele.
Nach dem Essen begaben sich die Herren in einen Rauchsalon, während die Damen sich beim Kaffee mit Karten- und allerlei anderen Gesellschaftsspielen die Zeit vertrieben. Dann wurde eine gewaltige Hochzeitstorte angeschnitten und so mancher Toast auf das Brautpaar ausgesprochen, bei dem aber meist der erfolgreiche Reeder Hoopmann im Mittelpunkt stand, dem mehr als ein Festredner Honig um den elegant gezwirbelten Schnurrbart schmieren wollte. Gertrud nahm es mit Humor und hing strahlend an Hansmanns Arm, der in seinem Frack eine überaus gute Figur neben seiner zauberhaften Braut machte. Er war im Gegensatz zu Utz auf meiner Hochzeit noch ziemlich nüchtern, obwohl er Gertrud die Hochzeitsnacht sichtlich nicht mehr besorgen musste, denn was Friedrich so flapsig als Spaß gemeint hatte, schien tatsächlich der Fall zu sein: Gertrud war in Umständen und zwar gewaltig. Als ich sie in einem stillen Augenblick darauf ansprach, meinte sie augenzwinkernd und selbstbewusst: »Natürlich, warum glaubst du, hätte mein Vater sonst so schnell meiner Hochzeit mit einem Habenichts wie Hansmann zugestimmt? Doch nur um größere Schande zu vermeiden. Lieber eine nicht ganz so gute Partie als überhaupt keine und dann mit einem Wechselbalg als Jungfrau dasitzen.«
Ich lachte. »Dann war das also geplant? Ihr seid ja raffiniert!«
»Natürlich! Und tu du nicht so unschuldig, Estelle, du hast uns doch in die Pflicht genommen, als du mir so gezielt den Brautstrauß zugeworfen hast. Dafür dank ich dir und auch dafür, dass du mir dein Zimmer zur Verfügung gestellt hast; so ohne Aufsicht meines Vaters hat die Gelegenheit wirklich Liebe gemacht.«
Sie giggelte ganz allerliebst, und zwar nicht nur, weil sie einen kleinen Schwips hatte, sondern sich auch diebisch über die List freute, mit der sie ihren strengen Herrn Vater ausgetrickst hatte. Dann umarmte sie mich im Überschwang und jubelte: »Ich bin so glücklich, Estelle, wirklich, ohne dein Verständnis für uns und deine tätige Hilfe wäre das alles nicht so schnell möglich gewesen. Nun bin ich mit Hansmann verheiratet und komme mit euch nach Berlin. Willst du mir bei der Geburt Beistand leisten, liebste Schwiegerschwester?«
Ich nickte, ohne auch nur im Mindesten zu bedenken, worauf ich mich da einlassen würde, und kichernd wie die Backfische gingen wir zurück in den Tanzsaal, wo der musikalische Nachwuchs der Hansestadt, fein herausgeputzt in Matrosenkleidchen und -blusen, gerade ein paar klassische Konzertstücke zum Besten gab. Danach kam eine Salonkapelle in den Saal und das Brautpaar eröffnete mit seinem Tanz den Ball. Es war eine schöne, stilvolle Feier, die zwar nicht den Glamour und die Extravaganz meiner Hochzeit hatte, aber in ihrer Gediegenheit sehr edel und vornehm war und das Fest, das Utz inszeniert hatte, als das entlarvte, was es wirklich war: teurer Tand, mehr Schein als Sein. Es war nicht das Geld, was ihm und seiner Hochzeit abging, es war die Würde.
Er merkte den Unterschied wohl selber, denn seine Laune war den ganzen Tag über nicht die beste, und weil er nicht die geringsten Anstalten machte, mit mir zu tanzen, vergnügte ich mich mit Friedrich, der ohnehin ein sehr viel besserer Tänzer war als Utz. Am späteren Abend
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